Boeser Traum
verdreht die Augen, schlägt leicht mit dem Knöchel von innen gegen die Tür und sagt genervt: »Klopf. Klopf.«
»Sonst noch was?«
Sophie lehnt sich gegen ein Regal, guckt sich in dem Zimmer um und schüttelt leicht den Kopf. Niemals wäre es bei ihr so unordentlich. Sophie hält Ordnung. In ihrem Zimmer und in ihrem Kopf. Sie ist der Typ Ich-weiÃ-wirklich-nicht,-was-an-Physik-und-Mathe-so-kompliziert-sein-soll . Für sie steht fest, dass sie direkt nach dem sehr guten Abitur an eine Technische Hochschule und danach in die Forschung geht. Ein Kind will sie auch, aber erst spät und sie geht höchstens sechs Monate aus dem Beruf raus. Schöner Plan. Emilia weià meist noch nicht mal, was sie am nächsten Tag machen oder auch nur anziehen will. Sie hat noch keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, was nach dem Abi kommen soll. Jetzt im Moment allerdings verfolgt sie einen ehrgeizigen Plan: Wie kriege ich meine Schwester so schnell wie möglich aus meinem Zimmer?
»Papa hat gestern Abend angerufen. Er will wissen, ob wir ihn in den Sommerferien besuchen wollen. Eine Reise ist nicht drin, dafür läuft das Büro nicht gut genug. Aber er könnte vielleicht eine Woche frei machen und wir vergnügen uns am Starnberger See«, berichtet Sophie knapp und kühl.
»Wir sollen ihn zusammen besuchen kommen?«, fragt Emilia nach.
»Das ist sein Vorschlag.«
»Dann hat er wohl eine Menge verdrängt. Ich fahre definitiv nirgendwo mit dir hin. Ich käme selbst dann nicht mit, wenn er uns gemeinsam in die Karibik einladen würde«, antwortet Emilia mit Bestimmtheit. »Wenn du willst, darfst du ihn gerne alleine besuchen. Meinen Segen hast du«, schiebt sie nach. Immerhin wäre Sophie dann für eine Woche weg.
»Geht leider nicht. Ich mache erst für drei Wochen ein Praktikum im Umweltinstitut und danach fängt mein Sprachkursus an.«
»Wieso fragst du mich, ob ich mitkomme, wenn du schon weiÃt, dass du nicht kannst?«
»Ich wollte einfach mal sehen, wie du reagierst«, lächelt Sophie und geht mit sehr geradem Rücken hinaus.
Emilia wirft ihr einen Radiergummi nach, trifft aber nur die verschlossene Tür. Immerhin hat sie nun genug Energie, um sich weiter auf ihren Fragebogen zu konzentrieren.
Am liebsten würde sie Charlotta natürlich in ihrer Nähe unterbringen. Am allerliebstem im Keller. Geht natürlich nicht. In Gedanken geht sie alle Möglichkeiten durch und springt plötzlich auf. Natürlich. Dass sie da nicht eher draufgekommen ist! Fett schreibt sie UNSER HAUS auf das Blatt. Vor einiger Zeit hatte sie bei einer ihrer Radtouren ein verfallenes Haus entdeckt. Es steht am Ende eines Holperweges hinter dem Klärwerk. Klein und hässlich kauerte es hinter viel Unkraut und Buschwerk. Die Tür hatte offen gestanden, alle Fensterscheiben waren eingeschlagen. Alleine hatte sie sich nicht reingetraut. Deswegen war sie ein paar Tage später zusammen mit Charlotta hingefahren. Selbst zu zweit war es gruselig. Am schlimmsten fand Charlotta, dass noch verblichene Vorhänge in einigen Fenstern hingen. Sie war mit Charlotta Hand in Hand durch die Zimmer gegangen. Ein paar wenige kaputte Möbel hatten von dem Leben erzählt, das hier mal gelebt worden war. In einem Raum hatten es sich wohl mal ein paar Penner bequem gemacht. Leere Bierdosen und alte Zeitungen lagen herum. Als sie gerade schon gehen wollten, hatten sie eine weitere kleine Tür im Flur entdeckt. Sie war verschlossen gewesen, doch der Schlüssel hing säuberlich an einem Nagel oben neben dem Rahmen. Das Schloss hatte geknirscht und geknackt. Mit einem Sprung öffnete sich die Tür und gab eine steile Treppe nach unten preis. Ganz vorsichtig waren die Mädchen Stufe für Stufe hinuntergegangen. Neugier und Angst hielten sich fast die Waage. Aber die Neugier war doch einen Hauch gröÃer. Der Keller war unspektakulär. Viel Dreck, viel Staub. Kleine verschmierte Fenster, eine kaputte Leiter. Als sie wieder oben waren, hatten sie die Tür wieder verschlossen und Emilia hatte den Schlüssel eingesteckt. Charlotta hatte sie fragend angesehen.
»Das ist jetzt unser Haus«, hatte Emilia verkündet.
Ab und zu hatten sie sich seitdem vorgestellt, wie es wäre, das Haus zu renovieren. Einen groÃen Garten mit Hollywoodschaukel und Kräuterbeet stellten sie sich vor. Helle Zimmer mit lustigen Möbeln
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