Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
zwischen den nicht vorhandenen Wolken hängengeblieben. Er war völlig abwesend. Seine Müdigkeit wirkte monumental. Sie erstreckte sich direkt ins nächste Leben hinein.
    Weil er nicht mehr viel hinzuzufügen hatte und weil es unwahrscheinlich war, daß Möller im Laufe der nächsten halben Stunde einen Mucks von sich geben würde, beschloß Hjelm, diesen menschlichen Katastrophenort zu verlassen, trat hinaus in den Redaktionsraum und schob die Tür zu dem versteinerten Ressortchef zu. Er trat zu dem jungen Mann mit dem hingehauenen Nachruf. Der hatte aufgehört, die Tastatur zu malträtieren, und ging gerade noch einmal den Text am Bildschirm durch.
    »Ist er fertig?« fragte Hjelm.
    Der Mann zuckte zusammen, als sei er von einem Dumdumgeschoß in zwei Stücke gerissen worden. »Oh, Entschuldigung«, hechelte er, nachdem er sich wieder gefaßt hatte. »Ich war ganz absorbiert. Ja, er ist fertig. So fertig, wie er unter den gegebenen Umständen sein kann.«
    »Kann ich einen Ausdruck bekommen?«
    »Er erscheint morgen in der Zeitung.«
    »Ich hätte ihn gern jetzt, wenn es geht.«
    Der Mann betrachtete ihn erstaunt. »Selbstverständlich«, sagte er und drückte auf eine Taste. Ein Laserdrucker begann Seiten auszustoßen. »Es ist immer schön, wenn man gelesen wird.«
    Hjelm überflog den Text, der mit Erik Bertilsson signiert war.
    »Nach allen Regeln des Genres«, sagte Bertilsson, was Hjelm veranlaßte, den Blick von den Seiten zu heben und Bertilsson in Großaufnahme zu betrachten.
    »Eher als nach denen der Wahrheit?« sagte er.
    Erik Bertilsson zeigte die einem routinierten Verhörleiter wohlbekannte Jetzt-hab-ich-mich-verplappert-Miene und sagte nichts.
    »Was war Hassel eigentlich für ein Autor?« fragte Hjelm. »Ich habe da ein paar ziemlich sonderbare Texte gesehen.«
    »Lesen Sie den Nachruf«, sagte Bertilsson verkniffen. »Da steht alles, was ich zu sagen habe.«
    Hjelm blickte sich in der Redaktion um. Hier und da liefen kleine Grüppchen von Redaktionsmitgliedern umher. Niemand schien von ihm und Bertilsson Notiz zu nehmen.
    »Jetzt hören Sie mal genau zu, Bertilsson«, sagte er scharf. »Ich versuche lediglich, mir ein zutreffendes Bild von einem Mordopfer zu machen. Jede Information, die dazu führen kann, daß der Mörder gefaßt wird, ist von größter Bedeutung. Was Sie sagen, bleibt sozusagen unter uns, innerhalb der Ermittlung. Es geht nicht darum, jemanden öffentlich anzuschwärzen.«
    »Ich begleite Sie ins Treppenhaus«, seufzte Bertilsson und erhob sich widerwillig.
    Sie kamen ins Treppenhaus. Es war menschenleer.
    Bertilsson wand sich wie im Fegefeuer. Nach einer Weile faßte er einen Entschluß, gebot seiner Qual Einhalt und warf den Ballast ab, eine kompakte Masse von Frustration: »Diesen Nachruf zu schreiben war ein Auftrag, nicht meine freie Entscheidung«, sagte er mit einem Blick über die Schulter. »Und ich habe mich noch nie so sehr als Heuchler gefühlt. Hassel gehörte dem inneren Kreis um Möller an. Sie geben den Ton an, ganz einfach, eine Generationsclique, die glaubt, sie hätte die gleichen Wertmaßstäbe wie in den goldenen sechziger Jahren, die aber eigentlich diametral entgegengesetzt sind. Mit extremem Irrwitz versuchen sie, die Zeichen der Zeit einzukreisen, und folgen begeistert dem oberflächlichsten Trend, aber gleichzeitig sind sie nicht im geringsten bereit, Außenstehende in den Kreis einzulassen. Hassel war ein Machtmensch. Er durfte über die Bücher schreiben, über die er schreiben wollte, und suchte sich immer Sachen aus, die er nicht verstand, nur um die Autoren runtermachen zu können. Seine ganze ästhetische Überzeugung stammt aus den Sechzigern und fußt auf dem Grundsatz, daß Literatur per definitionem Betrug ist. Er hat in den Siebzigern eine theoretische maoistische Kampfschrift und ein paar Dokumentarromane verfaßt, aber danach hat sein gesamtes Wirken darin bestanden, Läuse aus der Fahne zu schütteln. Es geht auf keine Kuhhaut, wie viele Hoffnungsträger der jungen Literatur er persönlich abgeschossen hat.«
    Hjelm schreckte vor der nahezu therapeutischen Beredsamkeit zurück. Er versuchte das Gleis zu wechseln. »Und privat?«
    »Nachdem er jahrelang seine Frau betrogen hatte, verließ er sie wegen eines jungen Dings, dem er mit seiner sogenannten Bildung imponierte. Er machte ihr sofort ein Kind – und haute ab nach Göteborg, als die Geburt bevorstand, um auf der Buchmesse rumzuvögeln. Als er zurückkam, war sie ihrerseits mit dem

Weitere Kostenlose Bücher