Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
unverhülltes Unterrichtsbuch der wahren Lehre. Die Zensur durch den Schlaf griff unerbittlich ein.
    Der Tag, an dem einer von Schwedens letzten Schutzwällen fiel, endete mit einer weiteren Gewalttätigkeit gegen die Polizei. Gerade als die Wanduhr unten im Wohnzimmer zwölf schlug, vollführte Lars–Erik Hassel einen posthumen Angriff auf Paul Hjelm, der davon erwachte, daß die rechte Ecke von Der Parasit der Gesellschaft seine linke Augenbraue aufschlug.
    Der Schwedenbesuch des Kentuckymörders ging seinem zweiten Tag entgegen.

8
     
    Arto Söderstedt wohnte mit seiner Frau und fünf Kindern in der Innenstadt und fand es wunderbar. Außerdem war er überzeugt davon, daß die Kinder es wunderbar fanden, vom Dreijährigen bis zum Dreizehnjährigen. Jedesmal, wenn er sie in der Kindertagesstätte oder in der Schule ablieferte, fand er sich von Selbstquälern umringt, die sicher waren, daß der größte Traum ihrer Kinder ein eigener Rasen zum Rumtoben war. Er dachte viel über die psychosozialen Mechanismen nach, die dafür verantwortlich waren, daß die Mehrzahl der Innenstadteltern ein konstant schlechtes Gewissen hatte.
    Bei den Vororteltern, denen er begegnete, war es anders. Alle strengten sich aufs äußerste an, die Umwelt davon zu überzeugen, daß sie das Paradies auf Erden gefunden hatten. Eine nähere Untersuchung ergab in der Regel, daß das Paradies aus drei Dingen bestand; erstens, daß man die Kinder nach draußen lassen konnte, ohne sich ständig in ihrer Nähe aufhalten zu müssen; zweitens, daß es keine Parkprobleme gab; drittens, daß man grillen konnte.
    Die spannungsgeladene Konfrontation zwischen dem zunichte gemachten Gewissen und dem aufgeblähten Selbstgefühl hatte häufig einen weiteren Umzug nach Norden, Süden oder Westen zur Folge.
    Söderstedt hatte das Gras auf beiden Seiten des Zauns gesehen. Als die A–Gruppe zur Dauereinrichtung gemacht wurde, zog die Familie aus einer Eigenheimsiedlung in Västeras in die Bondegata nach Södermalm. Persönlich vermißte er weder den erzwungenen Kontakt mit Nachbarn, mit denen er nichts gemeinsam hatte, noch die Selbstgefälligkeit des wettbewerbsorientierten Besitzens oder die Fixierung auf das Auto, die enormen Abstände zu allem, die schlechten Verbindungen, die Grillfeste, das stille Vegetieren, die künstliche Naturnähe, die voraussagbaren Diskussionen über den Gartenschlauch, den Rasen und die Blumenbeete, die mehr Zeit verschlangen als Wasser, die geschichts– und phantasielose Architektur, die leeren Straßen, die totale Abwesenheit von Kultur. Und was die Kinder anbetraf, hatte er eine kleine Liste mit Argumenten erstellt, die Innenstadteltern benutzen konnten, wenn sie von aggressiven Vorortbewohnern in die Ecke gedrängt und wegen Kindesmißhandlung angeklagt wurden. Die Bilder der Kindheit folgen einem Menschen durchs ganze Leben, und wenn diese Bilder eher aus Spielparks, Schotterplätzen und öden Straßen bestehen als aus variierenden Hausfassaden, Kirchtürmen und Menschen, ist dies ein gewichtiger Grund. Die Wahrscheinlichkeit einer guten Ausbildung ist höher, die Zahl der Museums– und Theaterbesuche ist bedeutend größer, das Angebot an Aktivitäten ist enorm, die Begegnungen mit Menschen jeder Art sind unzählbar. Überhaupt werden Aufmerksamkeit und Wachsamkeit auf eine Weise trainiert, wie sie außerhalb der Stadt keine Entsprechung hat.
    Was ihm jetzt, da er durch erwähnte Stadt wanderte, plötzlich aufging, war die Tatsache, daß der ganze Gedankengang von einem tief verwurzelten schlechten Gewissen diktiert wurde.
    Was waren das eigentlich für soziale Stereotypen, die das Bild des Glücks bestimmten?
    Auf jeden Fall nicht die Fünfzimmerwohnung in der Bondegata, in der sein Siebenpersonenhaushalt zweifellos eine Spur beengt lebte. Die Frage war, ob das wirklich eine so große Rolle spielte.
    Weil Anja heute die Kinder fuhr, erlaubte er sich, zu Fuß von Söder nach Kungsholmen zu gehen; sein Gefühl sagte ihm, daß es wohl für lange Zeit das letzte Mal war, daß er sich diesen Luxus gestatten konnte. Als er an diesem schönen Spätsommermorgen das Polizeipräsidium betrat, schlug er denn auch direkt den Weg zur Dienstwagenausgabe ein und ließ sich die Schlüssel für einen robusten Audi aushändigen. Er steckte sie ein und betrat den Aufzug.
    Arto Söderstedt sah sich im Spiegel des Aufzugs. Wieder ein Sommer ohne Hautkrebs, dachte er und suchte nach Holz, an das er klopfen konnte. Er hatte eine Haut, wie sie

Weitere Kostenlose Bücher