Böses Blut
nur Finnen und Engländer haben können, dachte er mit einem Vorurteil der freundlichen Art, jene durch und durch weiße Haut, die in der Sonne nie etwas anderes werden kann als rot. Es war der vierte September, und er hatte es gerade geschafft, den entscheidenden Schritt von Lichtschutzfaktor 15, der Babyvariante, zu Lichtschutzfaktor 12 zu tun.
Eigentlich mochte er den Herbst am liebsten.
Allerdings vielleicht nicht gerade diesen Herbst.
Schon im Zusammenhang mit den Machtmorden hatte er sich in die Literatur über Serienmörder eingelesen und wie üblich hier und da eine Reihe von Vorträgen gehalten. Seitdem hatte er sie rationiert. Er fürchtete, daß die Zeit der Rationierung jetzt vorbei wäre. Schwedens letzter Schutzwall war zusammengebrochen, und das Gewaltverbrechen von internationalem Charakter, um eine gut bekannte Quelle zu zitieren, war angekommen. Es würde kaum eine Einzelerscheinung bleiben.
Tatsache war, daß er den Kentuckymörder kannte. Er hatte etwas über ihn gelesen und erinnerte sich schwach. Einer der ersten in der langen Serie.
Seine Vorgehensweise war irgendwie ungewöhnlich, etwas daran stimmte nicht mit dem Bild von Serienmördern überein. Diese grauenhaften Zangen ... Er konnte nicht mit dem Finger darauf zeigen, doch irgend etwas stimmte nicht. Er mußte direkt mit Ray Larner vom FBI sprechen, aber ihm war noch nicht ganz klar, wie er das an Hultin vorbei tun konnte. Hultin war zwar der beste Chef, unter dem er je gearbeitet hatte, doch ihm fehlten die Einsichten, die er selbst, Söderstedt, in bezug auf die Grauzonen der Rechtsmaschinerie hatte. Söderstedt war einst Strafverteidiger gewesen, einer der führenden Finnlands, und hatte das Schlimmste vom Schlimmsten in den höheren Kreisen verteidigt. Dann hatte sein Gewissen stop gesagt; er sprang ab, floh nach Schweden, besuchte als leicht überaltertes Semester die Polizeihochschule und ließ sich als Polizeibeamter in Västeras nieder. Ihm war die Idee gekommen, daß die Rolle des Verteidigers als des stellvertretenden Verbrechers im vorliegenden Fall zur Anwendung kommen konnte. Irgendeine Art von Identifikation war notwendig, wenn man Serienmörder fassen wollte, das wußte er.
Er war so versunken in seine Gedanken über Innenstadteltern und Serienmörder, daß er gar nicht merkte, daß er sich verspätet hatte. Das passierte ihm normalerweise nicht. Er war also gelinde gesagt überrascht, als er die Tür zur »Kampfleitzentrale« öffnete und nicht nur alle schon versammelt fand, sondern auch Waldemar Mörner höchstpersönlich an Hultins Katheder sitzen und mit den Fingern trommeln sah.
Weil er keine Chance gehabt hatte, sich auf diese Konfrontation vorzubereiten, bekam er spontan einen Lachanfall. Das war weniger gelungen. Mörner sah unverschämt fit aus, vollkommen unberührt von den Ereignissen in Arlanda, aber Söderstedts Lachanfall veranlaßte ihn dazu, am Rand einen kleinen Haken zu machen, der nicht mehr zu tilgen sein würde. Eine kurze, aber tödliche Sekunde lang zog er die eine Augenbraue hoch. Dann war er wieder wie immer. »Ich hoffe, es wird nicht zur Gewohnheit, zu spät zu kommen, Söderstedt«, sagte er bissig. »Wir stehen vor einer Herausforderung von einer Art, wie wir sie hierzulande in moderner Zeit auch nicht im entferntesten erlebt haben. Aber tempus fugit, und wir mit ihr. Lassen wir uns durch die vier Anzeigen von Arlanda nicht in der Arbeit stören, sondern versuchen wir weiterzukommen in unserer umfangreichen Ermittlung.«
»Vier?« sagte Norlander.
»Inzwischen, ja«, erwiderte Hultin neutral.
Mörner hörte sie nicht, sondern fuhr mit glühendem Pathos fort: »Nach aufwendiger Arbeit in den oberen Etagen habe ich sichergestellt, daß der Fall in euren bewährten Händen gelandet ist, und ich hoffe inständig, daß ihr euch des in euch gesetzten Vertrauens würdig erweist. Da Kraftansammlung vonnöten ist, empfehle ich erweiterte Horizonte und breit gestreute Blicke. Euer Aktienkapital ist grundsolide verankert in den Visionen der Führungsgruppe, und die Zukunft ist strahlend. Das Licht am Ende des Tunnels wird sichtbar. Eurer schweren Mühe harrt eine ehrliche Belohnung. Ergreift den Tag, nutzt den Augenblick, verstreut euren Charme. Gebt Gas jetzt, meine Herren. Und meine Dame, natürlich. Das Wohl Schwedens ruht in euren Wiegen.«
Mit diesen Weisheitssprüchen stürmte Mörner, den Blick starr auf die Uhr gerichtet, zur Tür hinaus.
Es war vollkommen still.
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