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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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war schön.
    »Es ging schnell. Eigentlich sollte er seine dritte Chemotherapie bekommen. Er hat sich geweigert. Er hat ein letztes Aufblühen gewählt, nicht den Kampf bis zuletzt. Ich habe eine Woche bei ihm gewacht, jeden Tag nach der Arbeit. Es war im Frühjahr. Er schrumpfte irgendwie zusammen.
    Aber er hat fast die ganze Zeit gelächelt. Es war merkwürdig. Ich weiß nicht, ob ihn das Geben oder das Nehmen froh gemacht hat. Vielleicht einfach der Austausch. Als hätte er einen letzten Einblick in die Geheimnisse des Lebens gewonnen und könnte ohne Angst dem großen Geheimnis entgegensehen.«
    Sie wandte sich ihm wieder für eine Sekunde zu, wie um zu überprüfen, ob er ihr folgte. Das tat er.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Diese Bilder heute ... Man glaubt, man könnte sich vorbereiten, aber man kann es nicht. Es ist, als gäbe es verschiedene Tode. Er hat auch gelitten, er hat furchtbar gelitten, aber er hat gelächelt. Hier gibt es kein Lächeln, nur die widerwärtigen Grimassen der Qual. Wie ein Fries mittelalterlicher Schreckensbilder von Christus. Gemacht, um Schrecken einzujagen. Abschreckend. Als würde er uns vom Leben abschrecken wollen, wie mittelalterliche Prälaten. Und es gelingt ihm auch fast.«
    »Ich weiß nicht«, versuchte er. »Ich sehe keine richtige Botschaft in dem, was er tut. Ich glaube eher, daß wir es mit Abfallprodukten zu tun haben, Resten, Industrieabfall, wenn du verstehst, was ich meine. Es kommt mir vor wie der mechanische, industrielle Tod von Auschwitz. Wenn einem etwas überhaupt so ...«
    Jetzt sah sie ihm in die Augen. Sie hatte sich einiges von der Seele geredet. Er sah in zwei tiefe, traurige Augen, und er sah, wie der Funke wieder entzündet wurde, genau in diesem Moment. Die phantastische Unerschöpflichkeit der Augen.
    Er fragte sich, was sie sah. Einen Hanswurst, der herumsprang und versuchte, seine Erektion zu verbergen? Er hoffte, daß da ein klein wenig mehr war.
    »Das ist vielleicht nicht unvereinbar«, sagte sie, und die wiedergeborene Energie radierte den nachdenklichen Tonfall nicht aus. »Lebensverachtung und klinische Perfektion in ein und derselben Handlung. Das ist ja ein und dieselbe Handlung.«
    Sie grübelten beide. Privates und Berufliches war nicht zu trennen. Nichts war isoliert in diesem Leben.
    Er spürte, daß er an der Reihe war. Er nahm wieder ihre Hand. Sie wehrte sich nicht. »War das, was wir hatten, nur Sex?« fragte er, ohne zu zittern. »Gibt es so etwas wie reinen Sex?«
    Sie lächelte etwas bitter und ließ ihre Hand in seiner. »So etwas gibt es wohl nicht«, sagte sie. »Und das zwischen uns war es auf jeden Fall nicht. Es war – verwirrend. Viel zu verwirrend. Ich war gerade aus einer teuflischen Ehe geflohen, vor einem Ehemann, der mich vergewaltigt hatte, ohne es zu merken. Er war Polizist, das weißt du, und dann bin ich bei einem anderen Polizisten gelandet, dem Gegenteil. Hartgesotten und einfallsreich als Bulle, zärtlich und hilflos privat. Die Bilder vermischten sich. Ich mußte da raus. Du bist in den Schoß der Familie zurückgeflohen, so etwas hatte ich nicht, also bin ich in die mir einzig mögliche Richtung geflohen.«
    »Auf eine Weise ist das Leben leichter als jemals zuvor«, sagte Paul. »Auf eine andere schwerer.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich weiß es nicht genau. Ich habe das Gefühl, daß die Wände sich um uns schließen. Wir haben die Tür einen Spalt geöffnet. Jetzt wird sie wieder zugemacht. Und die Wände rücken immer näher.«
    Er suchte nach Worten. Sie kamen nicht leicht. Er versuchte, Dinge zu formulieren, an die er sich noch nie herangewagt hatte. »Ich weiß nicht, ob es verständlich ist«, sagte er nur.
    »Ich glaube schon«, sagte sie und fügte hinzu: »Du hast dich wirklich verändert.«
    »Vielleicht ein bißchen«, sagte er und schwieg wieder. Nach einer Weile fuhr er fort: »Nur ein bißchen an der Oberfläche, aber irgendwo muß es ja anfangen. Die ererbten Gewohnheitsmuster zerbrechen uns, bevor wir überhaupt die Chance haben, anzufangen zu leben. Ich habe keine umwälzenden äußeren Dinge erlebt wie du, es war im Gegenteil ein ziemlich ereignisloses Jahr. Aber es hat auf der anderen Seite einige neue Möglichkeiten eröffnet...«
    Sie nickte stumm. Das Gespräch verebbte; es schien ohne Worte weiterzugehen. Schließlich sagte sie: »Ich fange an zu verstehen, wie wichtig es ist, daß wir ihn fassen.«
    Er nickte. Er wußte, was sie meinte.
    Sie verließen das Restaurant und

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