Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amélie Nothomb
Vom Netzwerk:
dann als letzte fertig?«
    »Das heißt gar nichts, dein Mund ist halt winzig. Du hättest besser aufpassen sollen! Jetzt hast du wieder alles verdorben, wo wir uns doch so über Christas Aufmerksamkeit gefreut haben.«
    »Das ist ja wirklich die Höhe! Warum muß ich es denn immer gewesen sein? Genauso könntest du die Bohne verschluckt haben oder Papa oder Christa!«
    »Christa ist so zart, sie hätte das bestimmt gemerkt!«
    »Und ich bin so grob, daß ich ununterbrochen Bleisoldaten in mich hineinschlinge! Das muß ich wohl von meinen Eltern haben. Also könntet auch ihr die Bohne verschluckt haben!«
    »Blanche, hör jetzt auf mit diesem dummen Gezänk!« mischte sich Christa friedenstiftend ein.
    »Als ob ich damit angefangen hätte!« fauchte ich.
    »Christa hat recht«, sagte mein Vater. »Hör auf damit, Blanche, das ist doch nicht so wichtig.«
    »Wir wählen einfach Christa zu unserer Königin«, entschied meine Mutter und setzte ihr eine Krone auf den Kopf.
    »Das ist gemein!« maulte ich. »Wenn alle überzeugt sind, daß ich die Bohne verschluckt habe, dann steht mir auch die Krone zu!«
    »Na gut, ich geb sie dir, wenn du sie unbedingt haben willst«, sagte Christa und streckte mir mit verdrehten Augen und einem ärgerlichen Seufzer die Krone hin.
    »Kommt nicht in Frage!« rief meine Mutter, griff nach Christas Handgelenk und setzte ihr die Krone wieder auf. »Du bist immer viel zu lieb, Christa, du bleibst jetzt unsere Königin.«
    »Aber Blanche hat recht, das ist nicht fair!« sagte Christa, die Heuchlerin.
    »Du bist sehr großzügig«, stellte mein Vater bewundernd fest. »Aber du solltest dich nicht von Blanche in ihr Spiel hineinziehen lassen, sie ist manchmal etwas wunderlich.«
    »Ich möchte euch dran erinnern, daß es Mama war, die damit angefangen hat«, warf ich ein.
    »Es reicht jetzt, Blanche«, fiel meine Mutter mir aufgebracht ins Wort. »Wie alt bist du eigentlich?«
    Vor meinem inneren Auge tauchte in der Rubrik Mann beißt Hund folgende Meldung auf: »Bizarrer Streit um Dreikönigskuchen: Mädchen metzelt Eltern und beste Freundin mit einem Küchenmesser nieder«.
    »Als Königin brauche ich einen König«, erklärte Christa im gravitätischen Tonfall der Friedensstifterin. »Ich wähle François.«
    Sie setzte die andere Krone meinem Vater auf, der davon ganz begeistert war und »Oh, danke, Christa!« rief.
    »Welche Überraschung!« knurrte ich. »Das war ja eine schwierige Wahl.«
    »Du gönnst auch keinem etwas!« sagte Christa.
    »Nimm sie nicht ernst!« empfahl meine Mutter. »Sie ist ja schon ganz grün vor Neid.«
    »Schon komisch, wenn du von Christa sprichst, sagst du Christa. Wenn du von mir sprichst, sagst du ›sie‹«, bemerkte ich.
    »Ich glaube, du hast ein Problem«, stellte mein Vater kopfschüttelnd fest.
    »Seid ihr sicher, daß das Problem bei mir liegt?« fragte ich.
    »Ja«, bekräftigte meine Mutter.
    Christa kam auf mich zu, küßte mich übertrieben christlich und sprach dazu lächelnd: »Ach, Blanche, wir lieben dich doch!«
    Meine Eltern applaudierten. Ich fand es bedauerlich, daß Peinlichkeiten nicht töten können.
    Nach der offiziellen Waffenruhe verlief das improvisierte Dreikönigsfest ohne weitere Zwischenfälle. Meine Erzeuger und ich bildeten sozusagen die Prozession der drei Schwachsinnigen, die auszogen, um ihre angebliche Erlöserin zu feiern. Der eigentliche Sinn des Fests war völlig auf den Kopf gestellt. Da die Rolle des Kindes von Antichrista besetzt war, war ich, weil ich Blanche hieß, wohl Balthasar, der Mohrenkönig.
    In der christlichen Überlieferung mußte ein König schwarz sein, um die allumfassende Güte des Messias zu zeigen. In meinem Fall ließ Antichrista sich immerhin dazu herab, von einem minderen Geschöpf Huldigungen anzunehmen. Diese erhabene Duldsamkeit hätte mich zu Freudentränen rühren müssen. Ich hätte fast Tränen gelacht.
    Und wie ergeben Kaspar und Melchior ihre Gaben darbrachten: das Gold ihrer naiven Zärtlichkeit, die Myrrhe der Rührung, den Weihrauch ihrer Anbetung für die Urheberin des gotteslästerlichen Spektakels – das war schon sehenswert.
    Im Johannesevangelium ist die Ankunft des Antichrist das Vorspiel zum Weltuntergang. Kein Zweifel: Die Apokalypse war nahe.
     
    Das Jahr ging so schlecht weiter, wie es angefangen hatte. Antichrista dehnte ihre Herrschaft immer weiter aus. Nichts und niemand konnte ihr widerstehen. In der Uni wie zu Hause unterwarfen sich ihr Dinge und Menschen.
    Sie hatte

Weitere Kostenlose Bücher