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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amélie Nothomb
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bin«, bettete ihren Kopf auf mein Kissen und schlief sofort ein.
    Ihre letzten Worte rührten mich und stürzten mich in tiefste Verwirrung. Hatte ich sie falsch eingeschätzt? War mein Groll gegen sie ganz unbegründet?
    Meine Mutter hatte uns beide nackt gesehen und war nicht sehr schockiert gewesen. Vielleicht fand sie, daß ich ein Problem mit meinem Körper hatte und mir das guttat.
    Christa hatte anscheinend Komplexe wegen ihrer Herkunft. Das könnte ihre merkwürdige Antwort auf meine Frage erklären. Ihre Haltung war vielleicht nur ein Ausdruck ihres Unbehagens. Wie konnte ich ihr das verübeln!
    Außerdem war es wirklich bewundernswert, wie sie in ihren jungen Jahren ganz allein ihr Studium durchzog. Statt mich über sie zu ärgern, hätte ich ihr lieber Hochachtung zollen und sie mir zum Vorbild nehmen sollen. Ich hatte mich auf ganzer Linie getäuscht. Ich hätte von Anfang an sehen müssen, was für ein phantastisches Mädchen Christa war und welch unverhofftes Glück, sie zur Freundin zu haben.
    Ich schämte mich noch ein bißchen und schlief besänftigt ein.
     
    Am nächsten Morgen bedankte sie sich überschwenglich bei meinen Eltern: »Sie haben mir dreieinhalb Stunden Schlaf geschenkt!«
    Auf dem Weg zur Uni sprach sie kein Wort mit mir. Ich dachte, wahrscheinlich ist sie mit dem linken Fuß aufgestanden. Im Hörsaal existierte ich für sie nicht mehr. Den Tag verbrachte ich in der gewohnten Einsamkeit. Manchmal hörte ich ihr Lachen aus der Ferne. Ich begann mich zu fragen, ob sie wirklich in meinem Zimmer übernachtet hatte.
     
    »Deine Christa ist ein Glücksgriff«, erklärte abends meine Mutter. »Unglaublich lustig, geistreich, lebendig …«
    »Und diese Reife!« fiel ihr mein Vater ins Wort. »Dieser Mut! Diese Intelligenz! Und ihr Gespür fürs Zwischenmenschliche!«
    »Ja, nicht?« sagte ich, während ich noch in meinem Gedächtnis kramte, was Christa denn so Scharfsinniges vorgebracht haben könnte.
    »Du hast dir ja sehr lange Zeit gelassen mit der Freundschaft«, bemerkte meine Mutter. »Jetzt kann ich dich verstehen: Deine Meßlatte lag eben ziemlich hoch.«
    »Außerdem ist sie eine Schönheit«, konstatierte mein Vater.
    »Wie wahr«, bestätigte meine Mutter. »Und du hast sie noch nicht nackt gesehen!«
    »Stimmt. Und wie ist sie so?«
    »Ein verdammt hübsches Ding, wenn du meine Meinung dazu wissen willst.«
    Das war der Gipfel der Peinlichkeit.
    »Mama, bitte!«
    »Wie verklemmt du bist! Deine Freundin hat sich nicht so angestellt mir gegenüber, und recht hat sie. Vielleicht kann sie dich ja von deinen übertriebenen Schamgefühlen heilen, das wäre wunderbar.«
    »Und das ist nicht das einzige, was du von ihr lernen könntest«, ergänzte mein Vater.
    Ich hatte größte Mühe, meine Wut im Zaum zu halten, begnügte mich aber mit den Worten: »Schön, daß ihr sie mögt.«
    »Wir haben sie ins Herz geschlossen. Sie ist uns jederzeit willkommen, das kannst du ihr sagen.«
    »Mach ich.«
     
    Als ich wieder in meinem Zimmer war, zog ich mich nackt aus und betrachtete mich von Kopf bis Fuß in meinem großen Spiegel.
    Dieser Körper war eine Beleidigung. Ich verabscheute ihn seit meiner Pubertät. Und durch Christas Blick war alles noch schlimmer geworden; ich sah mich nur noch durch ihre Augen. Und haßte mich.
    Junge Mädchen beschäftigen sich ständig mit ihren Brüsten: Sie haben sie erst seit so kurzer Zeit, daß sie es noch gar nicht fassen können. Auch ihre Hüften runden sich, doch das ist nicht so erstaunlich; etwas verändert sich, das andere ist neu. Die Beulen, die auf ihrer Brust entstehen, bleiben den Mädchen lange fremd.
    Daß Christa nur meine Brüste erwähnt hatte, machte das Ganze nicht besser. Es war der endgültige Beweis dafür, daß sie mein Hauptproblem waren. Ich machte den Test: Ich verbarg meine Brüste unter meinen Händen, und siehe da: Auf einmal fand ich mich erträglich, ja sogar ganz hübsch. Kaum nahm ich die Hände wieder weg, wirkte mein Spiegelbild nur noch kläglich und erbärmlich, als ob dieser Makel den ganzen Rest verseuchte.
    Eine Stimme in meinem Kopf nahm mich in Schutz: Na und? Du bist doch noch am Wachsen. Es kann auch von Vorteil sein, weniger zu haben. Und bevor Christas Blick dich traf, war’s dir egal. Warum nimmst du dir das Urteil dieses Mädchens eigentlich so sehr zu Herzen?
    Auf einmal sah ich im Spiegel, wie meine Schultern und Arme die von Christa empfohlene Position einnahmen und mit der Übung begannen, die sie mir

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