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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amélie Nothomb
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angeraten hatte.
    Nein! brüllte die Stimme in meinem Kopf. Du darfst ihr nicht gehorchen! Hör sofort damit auf!
    Aber mein Körper setzte folgsam die Gymnastik fort.
    Ich schwor mir, nie wieder damit anzufangen.
     
    Am nächsten Tag beschloß ich, Christa nicht mehr nachzulaufen. Sie schien das zu spüren, denn sie kam auf mich zu, umarmte mich und sah mich schweigend an. Ich fühlte mich so unbehaglich, daß ich etwas sagen mußte. »Meine Eltern lassen dir ausrichten, daß sie dich sehr mögen und du jederzeit bei uns willkommen bist.«
    »Ich mag deine Eltern auch sehr. Sag ihnen, daß ich mich freue.«
    »Kommst du wieder?«
    »Nächsten Montag.«
    Ihre Clique brüllte nach ihr. Sie drehte sich um und ging zu den Jungs. Als sie sich einem auf den Schoß setzte, forderten die anderen lautstark gleiches Recht für alle.
    Es war Mittwoch. Es würde noch eine Weile dauern bis nächsten Montag. Aber ich hatte es gar nicht mehr eilig. Ohne sie ging es mir besser als mit ihr.
    Wirklich? Ich war mir da nicht so sicher. Ohne sie fühlte ich mich wie der einsamste Mensch auf der Welt. Meine Einsamkeit war durch Christa schlimmer geworden. Wenn sie nichts von mir wissen wollte, fühlte ich mich nicht mehr einsam, sondern verlassen.
    Schlimmer: gestraft. Wenn sie mich links liegen ließ, lag das sicher an mir. Ich mußte etwas falsch gemacht haben. Stundenlang grübelte ich über mein Verhalten nach, um herauszufinden, was mir wohl diese Strafe eingebracht hatte, die sicher gerecht war, obwohl ich keine Ahnung hatte, womit ich sie verdient haben könnte.
     
    Am nächsten Montag bereiteten meine Eltern Christa einen freudigen Empfang. Sie kredenzten Champagner, und Christa sagte, es sei der erste Champagner ihres Lebens.
    Der Abend verlief angeregt. Christa plapperte, fragte meine Eltern nach diesem und jenem, lachte sich über ihre Antworten kaputt, tätschelte mir den Schenkel, um sich auf mich zu berufen, und trug so noch zur allgemeinen Heiterkeit bei, die ich allerdings trotz größter Mühe immer weniger teilen konnte.
    Der Gipfel war erreicht, als Christa anhob, die Eleganz meiner Mutter mit dem Beatles-Lied Michelle, ma belle … zu besingen. Ich wollte schon sagen, daß auch das Lächerliche seine Grenzen hat, als ich merkte, wie sehr meine Mutter sich darüber freute. Es ist schrecklich, wenn man mit ansehen muß, wie die Eltern ihre Würde verlieren.
    Vom Leben meiner angeblichen Freundin erfuhr ich nur etwas, wenn sie meinen Eltern davon erzählte.
    »Ja, ich habe einen Freund. Er heißt Detlev, lebt in Malmédy und arbeitet in derselben Bar wie ich. Er ist jetzt achtzehn. Ich möchte ihn dazu bringen, daß er eine Ausbildung macht.«
    Oder: »Meine Schulkameraden sind alle gleich nach der Schule in die Fabrik gegangen. Ich bin die einzige, die studiert. Warum ich mich für Politikwissenschaft entschieden habe? Weil ich ein Ideal habe: Ich möchte wissen, wie ich meinesgleichen helfen kann. Ich glaube an soziale Gerechtigkeit.«
    Das waren wieder zehn Punkte mehr auf der Beliebtheitsskala. Warum mußte sie eigentlich immer so reden, als führte sie einen Wahlkampf?
    Da hatte Christa eine grausame Eingebung.
    »Du hast mir übrigens nie verraten, warum du Politikwissenschaft studierst, Blanche«, wandte sie sich an mich.
    Wenn ich schlagfertig gewesen wäre, hätte ich geantwortet: »Du hast mich auch nie danach gefragt.« Aber ich fühlte mich überrumpelt. Es kam so selten vor, daß sie mich eines Wortes würdigte.
    »Los, sag schon, Blanche!« bohrte mein Vater, der sich über mein dummes Gesicht ärgerte.
    »Ich finde es spannend zu verstehen, wie das Zusammenleben zwischen den Menschen funktioniert …«
    Ich sprach stockend, fand nicht die richtigen Worte. Aber das war die Grundlage meines Denkens, und ich hielt es für einen wichtigen Aspekt. Meine Eltern seufzten. Ich erkannte, daß Christas Frage nur ein Ziel gehabt hatte: mich vor meinen Eltern zu blamieren. Das war ihr auch gelungen. Offensichtlich konnte ich diesem »fabelhaften Mädchen« nicht das Wasser reichen.
    »Blanche war immer ein bißchen brav«, sagte meine Mutter.
    »Führ du sie uns doch mal aus«, fügte mein Vater hinzu.
    Ich zuckte zusammen; in diesem »du sie uns« war der ganze Schrecken unserer Viererbeziehung enthalten, die keine mehr war. Ich war zur dritten Person geworden. Wenn man von jemandem in der dritten Person spricht, dann, weil er nicht anwesend ist. Mich gab es einfach nicht mehr. Alles spielte sich zwischen den

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