Boeses mit Boesem
Emerson stinkreich.
Emersons Job, seine Familie und seine Verbindungen waren lauter gute Gründe für Glass, den Mann in Ruhe zu lassen und nicht für eine spezielle Verfolgung auszusondern. Ich würde herausfinden müssen, was es genau bedeutete, dass er ein Sonderfall war.
Nach Emerson kehrte ich zu Rabbi Michael Tenenbaum ganz am Anfang der Liste zurück. Mein erster Treffer war eine Bestattungsanzeige. Er war der Rabbi der Temple-Israel-Synagoge in der Upper East Side gewesen. Das war eine Reform-Synagoge, gehörte also jenem Zweig des Judentums an, den das Regime von jeher mit Misstrauen betrachtete.
In seinem Nachruf stand, er sei vor vier Jahren der Direktor der Vereinigung Reformierter Juden gewesen. Ich erinnerte mich vage, dass die Vereinigung die Anreize, mit denen die Regierung die Juden zur Emigration bewegen wollte, angegriffen hatte. Das war bei mir haften geblieben, weil damals nur noch sehr wenige Menschen es wagten, die Politik der Ältesten öffentlich zu kritisieren. Ich erinnerte mich nicht, |219| wann diese Erklärung abgegeben worden war, daher konnte ich mir nicht sicher sein, ob Tenenbaum die Vereinigung Reformierter Juden damals geleitet hatte.
Der Nachruf erwähnte keine Auseinandersetzung. Er sprach von Tenenbaums Beitrag zur jüdischen Erziehung und Bildung und von seinem nie erlahmenden Eintreten für die Armen aller Glaubensrichtungen. Er erwähnte seine Frau und zwei Töchter. Er beklagte den Verlust für die Welt, da ein großer Mann in jungen Jahren dahingegangen sei, und dazu noch so plötzlich. Nur wenige Männer von ausgezeichneter Gesundheit sterben im Alter von achtundvierzig Jahren an einem Herzinfarkt.
Zu Martin Spanoli, Eric Blair, John Darby und Martin Drysdale fand ich nichts. Das bedeutete nicht, dass sie verschwunden waren wie Isaac, sondern nur, dass sie im Internet nicht besonders angesagt waren. Ich würde eine Regierungsdatenbank benutzen müssen, um mehr herauszufinden. Benny war im Moment die einzige Zugangsmöglichkeit, die ich hatte, aber ich wollte ihn nicht in die Sache hineinziehen.
Sarah Johnsons Name tauchte ein einziges Mal auf. Es ging um ein in Manhattan angestrengtes Gerichtsverfahren gegen die Regierung. Die Gerichte berechneten seit einigen Jahren Gebühren, um auch nur die Zusammenfassung von Fällen aufrufen zu können, eine raffinierte Methode, um die Arbeit der Judikative unter einer weiteren Schicht von Privilegien zu begraben und zu kontrollieren, wer sich für etwas Bestimmtes interessierte. Ich würde keine Kreditkarte verwenden, um herauszufinden, worum es in dem Gerichtsverfahren gegangen war, aber es stach mir ins Auge, wie Johnson in den Dokumenten bezeichnet wurde. Sie wurde als Anwältin der Amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung geführt, die sie in dem Verfahren vertrat.
Als ich zum letzten Namen gelangte, war ich auf dem Bahnhof Columbus Circle. Pater Charles Fiore war der leitende |220| Priester der Our-Lady-of-Grace-Church in Park Slope. Die Kirche betrieb eine Mädchenschule, die bei jungen, aufstrebenden Familien sehr beliebt war. Auf der Website stand die Telefonnummer des Pfarrhauses und so rief ich dort an.
»Hallo?«, sagte eine spröde klingende Frauenstimme.
»Kann ich bitte mit Pater Fiore sprechen?«
»Tut mir leid, Pater Fiore ist im Moment nicht da. Er ist … er nimmt an Exerzitien teil.« Entweder war diese Frau es nicht gewohnt zu lügen oder man hatte ihr bei meinem Anruf auf die Rückseite eines Umschlags geschrieben, was sie sagen sollte.
»Wann kommt er zurück?«
Es folgte ein Schweigen, das mit einem langen Atemzug endete. »Er wird längere Zeit weg sein.«
»Ich verstehe«, meinte ich. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Ich werde für ihn beten.«
»Bitte, tun sie das«, gab sie zurück und legte auf, bevor ihr die Tränen kommen konnten.
Ich musste noch einen Anruf erledigen. Ich beschloss, über den Broadway zum Lincoln Center zu gehen, und hoffte, dass der Marsch die verängstigte Stimme der Frau aus meinen Gedanken vertreiben würde. Als ich beim Center eintraf, hatte ich ihre gepresste Stimme aber immer noch im Hinterkopf.
Ich wählte die Nummer, die Cal mir gegeben hatte. Jemand nahm ab. Niemand meldete sich.
»Ich suche nach Mr Franklin.«
Es folgte eine lange Pause. »An der Kreuzung West One-Hundred-and-Twenty-fifth und Lenox gibt es einen Tabakladen«, sagte eine weibliche Stimme. »Dort können Sie ihn morgen um sechzehn Uhr treffen.« Sie legte auf.
Coates
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