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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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blickte Dr. Simonis an; er zuckte mit keiner Wimper. »Und dann zum Sekretariat. Das hat alles auch noch Zeit gekostet.« Simonis schwieg.
    »Ich bin mit dem Fahrrad gekommen, aber wegen der Glätte und des Schneefalls habe ich mich in der Zeit verschätzt. Es kommt nicht wieder vor. Verzeihen Sie. Es tut mir leid.«
    Puh. Mehr konnte ich nicht tun.
    Dr. Simonis lächelte plötzlich, streckte mir die Hand entgegen und sagte: »Entschuldigung angenommen. Bitte, komm rein und schließ hinter dir die Tür.«
    Ich war erleichtert.
    Als er zu seinem Pult zurückging, sagte er im Plauderton, an die Klasse gerichtet: »Wirklich ein scheußlicher Morgen, was? Im Radio haben sie gesagt, dass es auf allen Straßen zu Staus und Verkehrsunfällen gekommen ist.« Er winkte mich zu sich und legte seinen Arm um meine Schulter.
    »Wir haben also einen Neuzugang.« Aufmunternd schaute er mich an. »Möchtest du dich selber vorstellen?«
    Ich nickte. Darauf war ich vorbereitet. Ich schnurrte herunter, was ich vorher hundertmal vor dem Spiegel geübt hatte.
    »Ich heiße Svetlana Aitmatowa und habe in den letzten zwei Jahren die Realschule in Wohlstorf besucht.«
    Eine gewisse Unruhe machte sich in der Klasse breit.
    »Ah«, sagte Dr. Simonis, »aus der Realschule aufs Gymnasium und das mitten im Semester. Wie hast du das geschafft?«

    Natürlich wusste er es; ich denke, er wollte mir einen Gefallen tun hier vor den Schülern.
    »Ich glaube, durch gute Noten«, erwiderte ich also. Ich weiß nicht, ob es zu stolz oder selbstbewusst geklungen hat, aber ich spürte plötzlich eine Veränderung. So als richteten sich die Schüler auf ihren Stühlen auf, um mich besser mustern zu können. Ich sah, wie zwei Mädchen miteinander tuschelten, ohne die Augen von mir zu lassen. So etwas verunsichert mich total. Ich weiß es nicht, vielleicht bilde ich mir das heute auch ein, aber mir schien, dass irgendetwas anders war. Die Art der Aufmerksamkeit, der Ausdruck der Gesichter vor mir.
    »Und vor der Realschule?«, fragte Dr. Simonis.
    »Habe ich in der Ukraine gelebt«, sagte ich. »In Dobroje.«
    Wieder ein Getuschel und Gemurmel. Aber ich wollte mich nicht noch mehr verunsichern lassen.
    »Natürlich war die Unterrichtssprache Russisch«, sagte Dr. Simonis.
    Ich nickte.
    »Russisch ist also deine Muttersprache«, fügte er hinzu.
    Ich nickte wieder.
    »Und wo hast du so gut Deutsch gelernt?«
    »Hier, als wir nach Deutschland kamen«, antwortete ich. »In der Schule, aus Büchern und dem Fernsehen.« Ich zuckte mit den Schultern.
    Dr. Simonis lächelte anerkennend. »In kürzester Zeit«, sagte er, während er den Blick über die Köpfe der Schüler schweifen ließ, »hat Svetlana so gut eine fremde Sprache gelernt, dass sie damit sogar den Sprung auf dieses Gymnasium geschafft hat. Wie finden wir das?«

    Einen Augenblick herrschte Stille im Klassenraum, aber dann auf einmal begannen einige Schüler, mit den Füßen unter den Tischen zu scharren, zögernd machten es endlich alle, bis Dr. Simonis sie mit einer Handbewegung stoppte.
    »Das war dein Applaus, Svetlana«, sagte er. »Hier auf dem Erlenhof wissen wir Engagement und Einsatz zu würdigen. Also«, er deutete auf einen unbesetzten Platz in der Nähe des Fensters, »wir haben schon für einen Tisch und einen Stuhl gesorgt. Willst du dich dahin setzen? Und dann bitten wir Maximilian, einfach noch einmal mit seinem Referat von vorn zu beginnen.«
    Maximilian, ein blonder Junge mit einem blauen Wollschal um den Hals, verdrehte die Augen. »Ist das Ihr Ernst, ganz von vorne?«
    Dr. Simonis lächelte. Er wartete, bis ich an meinem Tisch Platz genommen hatte.
    Dann sagte er fröhlich: »Mein heiliger Ernst. Wir wollen doch Svetlana die Chance geben, deinen ganzen Text zu hören.« Er hob, um das Getuschel zu beenden, die Arme. »Bitte Konzentration. Nachher werden wir über Maximilians Thesen diskutieren. Da erwarte ich viele Wortmeldungen. Also, hört genau hin.«

    Am Ende der Stunde ermahnte Dr. Simonis die Schüler, sich an den Kodex der Schule zu halten. »Ihr wisst, was das bedeutet«, sagte er, »kümmert euch um Svetlana. Macht sie mit allem vertraut. Erklärt ihr, was sie nicht weiß, und nehmt sie in eure Mitte.«
    Ich wurde rot, als er das sagte. Rot vor Freude und auch ein bisschen vor Verlegenheit.
    Ich blieb deshalb einfach abwartend sitzen, als Simonis
den Klassenraum verließ, und wartete voller Herzklopfen ab, was passieren würde.
    Sekunden später war ich schon umringt.

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