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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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so furchtbar und so peinlich, dass man dafür schon bestraft werden sollte.
    Aber vielleicht war mein hilfloser Auftritt doch nicht so schlecht. Denn der Mann wurde auf einmal sanft, fast väterlich. »Na, na«, knurrte er, während er mir die Schulter tätschelte, »dir reißt schon keiner den Kopf ab. Du bist eine Externe, was? Ich kenn sonst alle Erlenhofer.«
    Ich nickte stumm. Ich drehte den Kopf weg, um mir die Tränen abzuwischen.
    »Woher kommst du denn?«
    »Wohlstorf«, sagte ich.
    Der Mann lächelte. »Ah. Genau wie ich. Wie heißt denn dein Klassenlehrer?«
    »Dr. Simonis.«
    »Gut, dann bring ich dich ins Büro, und da sagt dir Frau Jessen, wo du hinmusst.«
    »Und das Fahrrad?«, flüsterte ich.
    »Da mach dir mal keine Sorgen, min Deern. Darum kümmer ich mich schon. Und morgen weißt du Bescheid: einfach früher aufstehen.«
    Ich nickte. Das hatte ich mir selbst schon vorgenommen.

    Unser Klassenraum befand sich auf der Rückseite des Hauptgebäudes im zweiten Stock.
    Dr. Simonis lehnte, als ich eintrat, an der Fensterbank, mit verschränkten Armen. Ein Junge aus der Klasse las etwas vor, einen Aufsatz oder etwas aus einem Buch. Ich war viel zu aufgeregt, um das genau zu registrieren.

    Ich hatte ganz behutsam, ohne zu klopfen, die Tür aufgezogen. Ich wollte so wenig Aufmerksamkeit wie möglich. In der geöffneten Tür blieb ich einfach stehen. Der Junge las weiter, ohne mich zu bemerken. Mehrfach hörte ich das Wort »Scientology«. Ich wusste, das war eine Sekte. Aber mehr auch nicht. Dr. Simonis schaute mich unentwegt an, so als erwarte er etwas von mir. Aber ich wusste nicht, was. Sollte ich guten Tag sagen?
    Noch einmal rausgehen und anklopfen und wieder reinkommen? Oder einfach tapfer in den Raum treten? Oder abwarten, bis der Junge geendet hatte? Was erwartete er? Warum lächelte er nicht wenigstens oder gab mir irgendein Zeichen, das ich deuten konnte?
    Es wurde unruhig in der Klasse. Ein paar Leute begannen, miteinander zu tuscheln. Sie schielten zu mir herüber. Der Junge geriet mit seinem Vortrag aus dem Takt. Und dann hob plötzlich ein Mädchen in der ersten Reihe die Hand (sie war rothaarig und hatte tausend Sommersprossen im Gesicht) und rief: »Dr. Simonis! Es ist jemand gekommen.«
    Da erst kam Bewegung in Dr. Simonis, er stieß sich vom Fensterbrett ab und kam mir entgegen. Er trug Cordhosen, einen Rollkragenpulli und ein Tweedsakko. Braune Wildlederschuhe. Ich glaube, ich habe nicht auf sein Gesicht, sondern auf die Füße geschaut. Wie sonst sollte ich das mit den Wildlederschuhen in Erinnerung haben?
    »Oh, ja!«, sagte er. »Stimmt! Da ist ja jemand. Ich hab gar nicht das Klopfen gehört.«
    Ich wurde feuerrot.
    »Danke, Justine, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.« Der Lehrer lächelte Justine zu und legte kurz,
im Vorbeigehen, seine Hand auf ihr Pult. Er ließ mich nicht aus den Augen und ich stand da wie angewurzelt.
    »Guten Tag«, sagte Dr. Simonis, als er dicht vor mir haltmachte.
    »Guten Tag«, flüsterte ich.
    »Wie bitte?« Er legte seine Hand ans Ohr.
    »GUTEN TAG!«, wiederholte ich so laut ich konnte.
    Simonis nickte zufrieden.
    »Darf man fragen, warum du hier eingetreten bist?«
    »Ich bin nicht eingetreten«, flüsterte ich, »ich habe in der Tür gewartet, ich wusste nicht genau, ob...«
    Wieder hielt der Lehrer seine Hand ans Ohr.
    »... OB ICH EINFACH REINKOMMEN DARF!« Ich war so aufgeregt, dass ich nicht mehr wusste, wie man richtig zwischen den Worten Luft holt.
    Es war jetzt still in der Klasse. Mucksmäuschenstill. Ich schaute einmal kurz über die Gesichter hinweg. Ich dachte: Sie sehen gar nicht fremd aus. Gar nicht schlimm. Es ist eine ganz normale Schulklasse. Bleib ruhig. Entspann dich. Du hast nichts verbrochen. Du bist einfach nur zehn Minuten zu spät. Am ersten Tag, das ist zwar peinlich, aber wie hatte der Hausmeister gesagt: Die reißen dir schon nicht den Kopf ab.
    Mir wurde plötzlich klar, dass Dr. Simonis mich mit seiner Reaktion bestrafen wollte, weil ich unpünktlich gewesen war. Weil er auf mich hatte warten müssen und ich ihn versetzt hatte.
    »Du wirst doch wissen«, sagte er gerade, als ich zu meiner Schlussfolgerung gelangt war, »ob du einen Grund hast, hier hereinzukommen.«
    Ich richtete mich auf, holte Luft.

    »Ich bin für diese Klasse eingeteilt«, sagte ich nun klar und deutlich, »es ist heute mein erster Tag und ich bitte für die Verspätung um Entschuldigung. Ich bin erst zum Lehrerzimmer gegangen.« Ich

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