Bombay Smiles
gewöhnte ich mich tatsächlich an vieles; lernte, meine neue Rolle Schritt für Schritt anzunehmen.
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Jedermanns Gott
Es gibt nur einen Gott. Und er ist niemandes Feind.
GURU NANAK
Es war nicht leicht, die notwendigen Genehmigungen für Yashodhan zu bekommen. Es dauerte ein Jahr, bis die Stadt Delhi allem, was nötig war, zugestimmt hatte. Die offizielle Erklärung, durch die eine indische Einrichtung die Erlaubnis erhält, ausländische Hilfe entgegenzunehmen, wurde ebenfalls erteilt.
In Indien weiß man, was es heißt, keine Eltern zu haben. Doch keiner Religion zu folgen, das ist vollkommen unvorstellbar. Alle Lehrer der Yashodhan-Schule waren Hindus, ebenso wie ein Großteil der Schüler. Es gehört zu meinen Überzeugungen, jede Religion zu respektieren, weil man nur mit gegenseitigem Respekt, nie aber durch Gewalt und Zwang wirklich helfen kann.
Bei der Gründung der Diplomatic School beschlossen wir, jede Religion der Schüler anzuerkennen.
Die besten Lehrkräfte waren Christen, aber es sollte in der Schule ebenso einen Unterricht in Ethik geben, der alle jene Glaubensgrundsätze respektvoll vermittelte, die von den jeweiligen Eltern an die Kinder weitergegeben wurden. An dieser Stelle kam es zu Einwänden und zu ersten Reibereien mit christlichen Lehrern.
Obwohl 80 Prozent der Inder Hindus sind, gibt es in Bombay noch viele andere Religionen, deren Anhänger in manchen Stadtteilen sogar in der Mehrzahl sind. Dies geht wohl zurück auf die christlich geprägte ehemalige Kolonialmacht Großbritannien sowie die Anwesenheit zahlreicher religiöser Glaubensgemeinschaften, die sich in Bombay niedergelassen und dort private Erziehungseinrichtungen gegründet haben. Unzählige Bruderschaften haben in verschiedenen Teilen der Erde etwas versucht, was mir wie eine Art Tauschhandel vorkam: Ich helfe dir, doch dafür lernst du, was ich dir beibringe.
Einen Tauschhandel bezweckte ich für unser Projekt auf gar keinen Fall. Den Hilfesuchenden sollten keinerlei Bedingungen auferlegt werden. Ich selbst gehöre keiner religiösen Glaubensgemeinschaft an. Es gibt also nichts zu predigen.
Aber neben dieser an Bedingungen geknüpften, religiös begründeten Hilfe, gibt es auch eine große Zahl frommer Menschen, die nie verlangt haben, dass diejenigen, denen sie helfen, etwa ihren Glauben
wechseln müssen. Menschen, die den Ärmsten einfach nur die Hand gereicht haben. Dabei folgen sie eher der Stimme ihrer großzügigen Seele als ihren Glaubensgrundsätzen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Pater Federico Sopeña, der schon lange in Bombay lebt und den ich wegen seines großen Einsatzes für die Adivasi, die indischen Ureinwohner also, mit ganzem Herzen verehre.
Die Reibereien mit den christlichen Lehrkräften der Diplomatic School begannen, als diese mitbekamen, dass die Yashodhan-Schule, die wir fortan unterstützen wollten, eine hinduistische Einrichtung war. Und dass ich ein vehementer Verfechter des strikten Respekts für die durch die Familien vorgegebenen religiösen Verhaltensregeln und Vorbilder war.
Für mich war klar: Religionszugehörigkeit gründet in einer persönlichen Entscheidung. Zwang hat in der Religion nichts zu suchen.
Ich hatte zwar während meiner beiden ersten Indien-Reisen schon viel über die hierzulande verbreiteten verschiedenen Glaubensrichtungen, Religionen und ihre Doktrinen gelesen, aber jetzt hatte ich das Gefühl, als müsste ich mich erneut damit beschäftigen und alle Verhaltensregeln und Rituale kennen, die die unterschiedliche Religionen in einzelnen Situationen von mir verlangten.
Die Hindus oder Hinduisten (die Ureinwohner Indiens schätzen es nicht, wenn sie als Hindus bezeichnet
werden, denn nicht alle Inder sind zwangsläufig auch Anhänger des Hinduismus) glauben an Brahman, den Gott der Unendlichkeit, des Absoluten, an die kosmische Weltenseele - man könnte auch sagen: an das Göttliche schlechthin. Und dieses Prinzip manifestiert sich in verschiedenen Gottheiten, die verehrt werden. Im hinduistischen Glaubensleben verkörpern die jeweils bevorzugten Gottheiten das höchste Brahman. Normalerweise sind das Vishnu, Brahma oder Shiva.
Vishnu ist der Welterhalter, der aus allem das Gute zu ziehen weiß. Normalerweise wird er mit vier Armen dargestellt und hält vier Insignien: eine Lotusblüte (die Welt, wie sie sich darstellt), ein Schneckenhorn (dessen innere Vibration der des Kosmos entspricht, aus dem jedes Leben entspringt), einen Diskos sowie eine Keule (eine
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