Bombenbrut
er total durch den Wind.
Gunther Schwanke ist der Chef und Eigentümer der exklusiven High-Tech-Schmiede Defensive-Systems am Bodensee. In den Reihen der großen Rüstungskonzerne, am nördlichen Ufer des idyllischen Ferienparadieses, zählt Defensive-Systems zu den kleinen Betrieben. Schwanke selbst zählt seinen Laden offiziell gar nicht dazu, da er fast ausschließlich zivile Aufträge ausführt, wie er sagt. »Satellitentechnik aller Art«, gibt er gerne als Auskunft, wenn er gefragt wird, was er produziert. Sollen die Leute diese Definition deuten, wie sie wollen.
Satelliten heißt für viele Bürger einfach Fernsehempfang, für manche auch noch GPS. Wer weiß schon, dass das Navigationssystem GPS im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums entwickelt wurde, und dass nun ›Galileo‹ im Rahmen der ›Europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik‹ aufgerüstet wird. Galileo ist ein typisches Geschäft für Gunther Schwanke, an dem auch sein Defensive-Systems mitarbeitet. Nach außen zivil, in erster Linie aber gefordert vom Militär.
Gunther Schwanke war viele Jahre als Ingenieur bei Dornier beschäftigt. Dort hatte er schnell erkannt, wie der Hase im Rüstungsgeschäft läuft, und wusste früh, dass er, dank seiner Beziehungen auf diesem Markt, selbst bestehen konnte. Wichtig ist: Man hat gute Bekannte beim Militär, die ihren strategischen Wunschzettel verraten. Und man braucht einige Freunde in den Ministerien, die die Wünsche der Militärs erfüllen wollen.
Schwanke hatte bei Dornier diese Entscheidungsträger auf der Hardthöhe in Bonn kennengelernt. Dazu wurde er Mitglied in der großen Volkspartei des Landes, übernahm ein paar Funktionen auf lokaler Ebene und wurde in doppelter Hinsicht fettleibig. Seinem Unternehmen war das alles zuträglich, seiner Gesundheit weniger. Das tägliche Schwimmen, heute vom Arzt verordnet, hilft nicht viel dagegen, aber es gefällt ihm, er fühlt sich nun mit seinen fast 70 Jahren, 170 Zentimetern Größe und 100 Kilo Lebendgewicht sowie mit seinem stattlichen und erfolgreichen Unternehmen rundum pudelwohl.
Doch jetzt muss er seine Firma neu ordnen. Im nächsten Jahr hatte er die Geschäftsführung an Matthias Kluge übergeben wollen. Nun aber muss er nochmals selbst ran. Seine Firma braucht dringend eine finanzielle Spritze. Er hatte an der Börse zu viel Geld verloren, die weltweite Wirtschaftskrise tat das ihre dazu, mit der Bankenpleite sind auch seine ausländischen Immobilienwerte rasant gesunken. Er muss unbedingt Stengeles Teleskopspiegel schnell verkaufen.
Schwanke ahnt, warum die westlichen Staaten sich bisher nicht für die neue Erfindung interessieren. Kluge hatte nur dort Käufer gesucht, wo ein hoher Preis garantiert ist. Höchste Preise für westliches Know-how bezahlen in erster Linie China, Russland, Indien, Pakistan und einige arabische Länder.
Die NATO dagegen kann bei eigenem Kaufinteresse jeden Kaufkonkurrenten aus dem Ausland schnell ausschalten. Das Verteidigungsministerium sitzt mit dem Außenministerium im Bundesausfuhramt. Von dort würde der Verkauf von Stengeles Zentralachsenspiegel, bei tatsächlichem Eigeninteresse der West-Militärs, durch ein Ausfuhrverbot schnell gestoppt. Also wollte Kluge den Deal leise und ohne große Aufmerksamkeit irgendwo im östlichen Ausland über die Bühne bringen. Kluge ist ein Schlitzohr gewesen. Aber jetzt muss er den Part seines ermordeten Angestellten selbst zu Ende spielen. Er muss den Verkauf abschließen, bevor womöglich die Amerikaner das Geschäft verhindern.
Gunther Schwanke ist zurück zu seinem Bootssteg geschwommen. Er lässt seine Füße durch das Wasser auf den Grund gleiten und stellt sich aufrecht hin. Sein halber Oberkörper schaut aus dem See. Mit den Fingern der rechten Hand klemmt er seine Nasenlöcher zu, mit der linken Hand fährt er zu einem auffallend langen, einsamen Büschel Haare, das ihm einseitig vom Kopf absteht. Dann beugt er seinen Oberkörper und senkt dabei seinen Kopf unter die Wasseroberfläche. Mit der linken Hand zieht er die einzig verbliebene graue Haarsträhne von der rechten Seite des Schädels über die gesamte Kopfhaut bis hinüber zum linken Ohr. Erst mit verdeckter Glatze schwimmt er erhobenen Hauptes Richtung Terrasse seines Hauses.
Schwanke hat direkt am Seeufer ein barockes Schlösschen erworben. Einst gehörte das Anwesen, zwischen Immenstaad und Hagnau, zum Schlosspark Kirchberg. Ein Wäldchen schirmt den Fleck gegen neugierige Blicke ab. Nackt
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