Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
und wies in Richtung der nicht sichtbaren, etwa zweihundert Meter Luftlinie entfernten Pfalzgalerie. »Da oben wurde vor noch nicht einmal zwei Stunden ein Mensch getötet. Das ist irgendwie keine gute Idee, Rainer.«
»Hast ja recht, Wolf. Hatte ich wirklich einen Moment lang völlig vergessen. Na, so was. Ich glaube, auch ich werde allmählich alt. – Aber mal was anderes: Glaubt ihr eigentlich, dass die Leute in der Fruchthalle vorhin die Detonationen gehört haben?«
»Wohl eher nicht«, entgegnete Mertel. »Bei dem Lärm, den die bei ihrer Show veranstaltet haben. Und wenn, hätten sie bestimmt an einen Düsenjäger gedacht, der mal wieder die Schallmauer durchbrochen hat. Das kommt bei uns ja leider immer noch oft genug vor. Obwohl es verboten ist.«
Völlig ohne Bezug zu dieser Äußerung Tannenberg einen Vorschlag: »Aber irgendwo ein bisschen in Ruhe zusammensitzen, das könnten wir schon noch. Schlafen kann ich jetzt sowieso nicht.«
»Ich auch nicht«, pflichtete Karl Mertel bei. »Nach der Aufregung.«
»Aber wo?«
»In der Stadt, Wolf?«, fragte Sabrina.
»Nee, da ist mir jetzt zu viel Trubel.«
»Hast du einen besseren Vorschlag?«
»Ja, den hab ich allerdings«, erwiderte ihr Vorgesetzter: »Wir ziehen uns ins Kommissariat zurück. Ich muss dort sowieso noch etwas Dringendes erledigen.«
»Und was?«, fragte Mertel neugierig.
»Das werdet ihr dann schon sehen.«
»Okay. Warum eigentlich nicht?«, stimmte Dr. Schönthaler zu. »Dann gehen wir zu Fuß zum Pfaffplatz. Auf dem Weg dorthin kommen wir an der Tankstelle in der Pariser Straße vorbei. Die hat durchgehend geöffnet. Da können wir uns mit allem eindecken, was wir für diese Nachsitzung brauchen werden.«
Man gewann mittlerweile den Eindruck, als ob fast die halbe Stadt auf den Beinen war, um den gleichermaßen furchtlosen wie besonnenen Menschen ihre Aufwartung zu machen. Eine durchaus angebrachte Solidaritätsbekundung, schließlich hatten die Zuschauer mit ihrem Mut erfolgreich einer massiven kriminellen Bedrohung getrotzt. Nachdem das Publikum durch die applaudierende Menschengasse hindurch zurück in die Fruchthalle stolziert war, ebbte die Woge der Begeisterung allmählich ab.
Die herbeigeeilten Zaungäste gaben sich jedoch mit ihren überschwänglichen Ovationsbekundungen nicht zufrieden, sondern folgten der nächtlichen Prozession in die Fruchthalle. Die sichtlich überforderten Securitykräfte konnten sie nicht am Eindringen in das alte Bruchsandsteingebäude hindern.
Unter diesen Umständen war natürlich an eine Fortsetzung der Quizshow nicht mehr zu denken. Auch deshalb nicht, weil sich inzwischen weitere auskunftsbegierige Fernsehteams und Zeitungsjournalisten eingefunden hatten. Nach Lottners Gespräch mit seinem Vorgesetzten war die Fortsetzung der Sendung überdies schon vor einer halben Stunde ad acta gelegt worden.
Gero Lottner teilte den in die Endrunde vorgestoßenen beiden Familien mit, dass sich die Event-TV -Zentrale zum sofortigen Abbruch der Quizshow entschlossen habe. Im ersten Moment zeigten die Teams dafür Verständnis, doch kurz darauf kam es fast zum Eklat.
Denn auf die Frage Jacobs, wann die Endrunde fertiggespielt werden würde, verwies Lottner lapidar auf den Event-TV -Vertragstext, den jedes Team unterzeichnet hatte. Aus diesem ging eindeutig hervor, dass nach einem Abbruch der Sendung die davon betroffenen Kandidaten keinerlei Rechte auf eine Fortsetzung geltend machen konnten.
Der Senior des Tannenberg-Teams reagierte verständlicherweise ziemlich ungehalten: Zuerst packte er Lottner wutentbrannt am Kragen, dann beschimpfte er den Regisseur mit den derbsten Ausdrücken seines in dieser Hinsicht recht umfangreichen Wortschatzes.
Aber da Jacob von seinem Wesen her ebenso widerborstig und verbissen war wie sein jüngster Sohn, konnte und wollte er sich mit dieser, seiner Meinung nach himmelschreienden Ungerechtigkeit nicht abfinden. Es dauerte auch gar nicht lange, bis er einen Weg gefunden hatte, mit dem er die von ihm als persönliche Schmach empfundene Niederlage doch noch einigermaßen erträglich gestalten konnte.
Geistesgegenwärtig verkaufte er nämlich noch an diesem Abend die Exklusivrechte für eine Veröffentlichung der Erlebnisse seines Rateteams an einen Privatsender. Darüber hinaus handelte er auch noch einen Auftritt des gesamten Teams in einer bekannten Talkshow aus.
Als Heiner und Tobias davon hörten, waren sie zunächst alles andere als begeistert und verweigerten
Weitere Kostenlose Bücher