Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
strikt ihre Teilnahme. Als der Senior ihnen allerdings eröffnete, das bereits verbindlich ausgehandelte, stattliche Honorar gerecht durch drei teilen zu wollen, hatte er zumindest seinen Enkel sofort auf seine Seite herübergezogen.
Denn Tobias sah durch diesen warmen Geldregen den Traum von einem neuen Scooter in greifbare Nähe gerückt. Heiner dagegen war nicht so leicht mit Geld zu überzeugen gewesen. Erst die Zusage des Privatsenders, vor einem Millionenpublikum sein Buch mit dem Titel ›Stumme Schreie – Kriminalpoesie‹ vorstellen zu dürfen, revidierte schlagartig seine ablehnende Haltung.
Der diensthabende Beamte staunte nicht schlecht, als Tannenberg und seine Begleiter die Loge im Erdgeschoss der Polizeiinspektion am Pfaffplatz passierten. Selbstverständlich hatte auch er die Berichterstattung über die spektakulären Ereignisse inmitten seiner Heimatstadt verfolgt.
Die nächtlichen Besucher führten mehrere Sixpacks mit sich und winkten dem verdutzt dreinblickenden Mann mit bunten Chipstüten in den Händen freundlich zu. Mit offenem Mund wies er hin zu einem Fernsehgerät, auf dessen Mattscheibe der Leiter der Mordkommission in Großaufnahme zu sehen war. Er stand mit einem Mikrofon in der Hand auf der Bühne und hielt gerade seine flammende Rede ans Publikum.
Tannenberg ignorierte den Fernseher. »Wir wollen nicht gestört werden!«, verkündete er, während er an ihm vorbeimarschierte. »Vor allem nicht von irgendwelchen Pressefritzen oder Fernsehleuten. Wenn welche hier auftauchen, sag ihnen, sie sollen sich am Montag an die Pressestelle wenden. Schließ am besten die Tür ab.«
»Ja, ja, mach, mach ich«, stammelte der verdatterte Polizeibeamte. »Leute, das habt ihr wirklich toll gemacht! Wir sind alle unheimlich stolz auf euch!«
Aber seine Kollegen hörten nur noch den Beginn seiner Lobeshymne. Sie waren bereits im Treppenhaus verschwunden.
Ein paar Minuten später saßen die ›Die Helden von Kaiserslautern‹ – wie sie am nächsten Tag von der Bild am Sonntag tituliert werden sollten – in Tannenbergs geräumigem Büro am Besuchertisch und machten sich gierig über das Bier und die Kartoffelchips her.
»Ich glaub, dass ich noch eine ganze Weile brauchen werde, bis ich richtig kapiert habe, was in den letzten Stunden so alles abgelaufen ist«, sagte Mertel schmatzend. Kopfschüttelnd nahm er einen tiefen Schluck aus der Bierflasche und wischte sich anschließend mit dem Handrücken über den Mund. »Tut das gut. Ich weiß nicht, ob mir schon jemals zuvor ein Bier so gut geschmeckt hat wie das hier.« Sein verträumter Blick streichelte geradezu liebevoll das grüne Flaschenetikett.
»Obwohl es ein saarländisches ist«, bemerkte Dr. Schönthaler grinsend. »Trotzdem: Prost!«
Er stieß zuerst seine Bierflasche an die des Kriminaltechnikers, dann an Sabrinas. Als letzter der Runde kam sein bester Freund an die Reihe, der urplötzlich einen ziemlich in sich gekehrten Eindruck machte.
»Hat dich gerade mal wieder einer deiner berühmten, radikalen Stimmungswechsel überfallen?«, frotzelte der Rechtsmediziner.
»Was?«
»Woran denkst du gerade, Wolf? Los, alter Junge, erzähl’s uns sofort.«
Tannenberg grummelte missmutig.
»Nein? Gut, dann werde ich jetzt mal versuchen, deine Gedanken zu erraten. Okay?«
Wieder erklang ein Geräusch, das jedem angeketteten Hofhund alle Ehre gemacht hätte.
»Es gärt in dir«, begann Dr. Schönthaler mit der Demonstration seine telepathischen Fähigkeiten. »Wenn etwas nicht stimmt, darfst du mich gerne unterbrechen.«
»Wie großzügig von dir. Danke!«
Der Gerichtsmediziner rieb sich genüsslich die Hände. »Also, das hab ich schon mal erraten. Nun weiter …« Er stockte, trank an seinem Bier und leckte sich danach kurz über die Lippen. »Und zwar gärt es aus mindestens zwei Gründen in dir: Zum einen, weil sich irgend so ein Drecksack – in diesen oder ähnlichen verbalen Denkkategorien watest du rachsüchtiger Primitivling doch gerade, oder etwa nicht?«
Tannenberg schmunzelte amüsiert. »Wie immer: Formal zwar etwas geschwollen, aber inhaltlich liegst du gar nicht so falsch.«
»Hab ich mir doch fast gedacht. Nun weiter: Du hast eine unheimliche Wut auf diesen Erpresser-Mistkerl, weil …?« Er legte abermals eine kleine Pause ein, rechnete aber nicht ernsthaft mit einem Einwurf seines alten Freundes. »Weil er deiner Familie so böse mitgespielt hat, ihnen Angst gemacht hat, sie mit dem Tode bedroht hat«, vollendete
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