Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
Augen auch weiterhin auf dem etwa 25-Jährigen, der fast einen ganzen Kopf kleiner war als er. Der Mann war lediglich mit einem T-Shirt, weiten Baumwollhosen und Turnschuhen bekleidet.
»Jo, im Anbau da hinten.« Er deutete mit seinem spitzen Kinn nach rechts in Richtung des Felsmassivs. »Jetzt sagt mal endlich, was Sache ist. Ich hab noch ’nen Haufen Arbeit.«
Dr. Schönthaler hatte sich die ganze Zeit über hinter seinem Freund aufgehalten und interessiert der bisherigen Verhaftungsaktion beigewohnt. Nun schlenderte er ein paar Schritte durch das Bildhaueratelier. Links neben der halb fertigen Skulptur, an der Gregor Michalsky noch bis vor ein paar Minuten gearbeitet hatte, stand ein großer Portalkran aus Aluminium. Der Rechtsmediziner begab sich zu ihm hin und inspizierte ihn neugierig. Dann stieß er an die schweren, von einem mächtigen Querträger herunterhängenden Metallketten und beobachtete sie einige Sekunden dabei, wie sie gleichmäßig hin- und herpendelten.
Dann betrachtete er aus dieser neuen Perspektive die an zwei Seiten bereits intensiv bearbeitete Sandsteinskulptur. Nach seinem Eindruck sollte daraus eine geometrische Figur entstehen. Nicht unbegabt, der junge Künstler, dachte er. Dann wandte er sich um. Direkt hinter ihm standen mehrere, nebeneinander angeordnete alte Werkbänke. Darauf befanden sich in chaotischem Durcheinander Schleifscheiben, Riffeleinsätze, Bildhauerknüpfel, Schlageisen, Spitzeisen, Raspeln, Fäustel, Zahneisen und diverse andere Steinmetzwerkzeuge.
»Ei, was haben wir denn da?«, ertönte plötzlich die markante Stimme des Kriminaltechnikers hinter einem schweren Vorhang, der allem Anschein nach die Funktion eines Raumteilers erfüllte.
Nach einem rumpelnden Geräusch erschien Mertel. So als ob er den Anwesenden eine wertvolle Gabe überbringen wollte, hielt er vor seinem Körper einen schwarzen Leuchtstrahler. Als er sah, dass ihm seine Kollegen gebührende Aufmerksamkeit schenkten, reckte er ihn wie einen Siegespokal in die Höhe. »Da hinten in der Ecke liegen noch eine ganze Menge von diesen Dingern herum.«
Tannenberg hatte verstanden. Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd, warf Sabrina einen triumphalen Blick zu. Sie fing ihn auf und lächelte kopfnickend zurück.
Ohne seine Arme wieder herunterzunehmen, baute der Kriminaltechniker sich direkt vor Michalsky auf. »Was ist denn das?«, fragte er den jungen Bildhauer.
Der junge Künstler blickte mit verkniffenem Gesicht hinauf zur dachschrägen, unverkleideten Hallendecke. »Lassen Sie mich mal scharf nachdenken«, spielte er seine Kasperrolle weiter. »Diese Frage ist nämlich gar nicht so einfach zu beantworten, wie’s vielleicht aussieht.« Er räusperte sich theatralisch. »Das ist in etwa so, als wolle man einem Gehörlosen Beethoven erklären.«
»Was?«
»Ja, Herr Oberinspektor, das ist wirklich kein leichtes Unterfangen.« Das letzte Wort ging nahezu übergangslos in stakkatoartiges Kichern über.
»Dann erkläre ich Ihnen jetzt mal was!«, blaffte Tannenberg. Er riss seinem Kollegen den schwarzen, rechteckigen Breitstrahler aus der Hand, fuchtelte damit hektisch vor des Künstlers sandverkrusteter Nase herum. »Das hier ist genauso ein Strahler wie sie bei den Bombenanschlägen vor der Pfalzgalerie verwendet wurden«, behauptete er, obwohl er zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht wissen konnte, ob er mit dieser Vermutung richtig lag.
Erst jetzt wanderte Michalskys Blick langsam von der Decke nach unten. Frech grinsend schaute er seinem Widersacher direkt in dessen vor Wut funkelnde Augen. »Ja, und? Was hat das mit mir zu tun?«
Stopp! Jetzt ja nicht ausflippen! Ruhig bleiben! Nicht provozieren lassen!, hörte er die ausnahmsweise einmal konstruktiven Befehle seiner inneren Stimme.
»Erzählen Sie uns doch mal, warum Sie diese Strahler überhaupt hier lagern«, führte Mertel die Befragung fort.
Michalskys eisiger Blick hatte in ihm ein neues Objekt gefunden.
»Ja, da sind wir ja schon wieder bei Beethoven«, seufzte er gequält.
Mertel verrollte die Augen, wiederholte aber seine Frage.
»Also gut, dann versuchen wir nun eben das Unmögliche …« Michalsky brach ab, wiegte den Kopf hin und her, »und erklären Bullen Kunst. Oh, Fuck, was für ein Scheißjob!«, stieß er in verächtlichem Ton aus. »Hat von den werten Herrschaften zufällig schon mal einer etwas von Illuminationskunst gehört?«, fragte er. Seiner überheblichen Mimik konnte man entnehmen, dass er eine fachkundige Antwort
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