Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
warten, bis dieser Scheißkerl die Schleifmaschine wieder eingeschaltet hat.
Endlich, nach langen Sekunden banger Anspannung, setzte das Geräusch wieder ein. Nun nahm er Blickkontakt zu seinen Kollegen auf. Dadurch versicherte er sich noch einmal, dass alle zum Einsatz bereit waren. Er streckte die Faust aus, ließ seine Finger nacheinander herausspringen: eins – zwei – drei.
Verabredungsgemäß blieb Dr. Schönthaler in der Hocke sitzen. Aus dieser Deckung heraus riss er die Tür auf.
»Polizei«, schrien die anderen Ermittler im Kanon, während sie in das Atelier hineinstürmten.
»Hände nach vorne auf den Stein, los, los«, brüllte der Einsatzleiter, unmittelbar nachdem er die etwa mannshohe, abstrakte Sandsteinskulptur entdeckt hatte, an welcher der Künstler offensichtlich gerade arbeitete.
Gregor Michalsky konnte im ersten Moment überhaupt nicht reagieren. Wie eine seiner steinernen Geschöpfe stand er regungslos inmitten des lichtdurchfluteten Raums. Er lehnte mit der linken Hand an der halb fertigen Skulptur, in der rechten hielt er die Schleifmaschine.
Mertel entriss ihm die Maschine, schaltete sie aus, legte sie auf den Boden. Unterdessen zog Sabrina die Arme des Künstlers hinter seinen Rücken und legte ihm Handschellen an. Sie drehte ihn zu Tannenberg um, nahm ihm die Schutzbrille ab. Die weiße Haut darunter war die einzige Stelle, die nicht mit feinkörnigem Sand überzogen war. Er sah wirklich aus wie ein Gespenst.
Plötzlich kehrte das Leben in den von oben bis unten mit einer feinen, rötlichen Sandschicht gepuderten Mann zurück.
»Cool, Mann, cool«, sagte er betont lässig durch fast geschlossene Zahnreihen hindurch. »Was macht ihr denn wegen so’m bisschen Dope so’n Aufstand?«
Er wies mit dem Kinn auf eine Werkbank, wo in einem Stück Alufolie ein dunkelbrauner Haschischbrocken lag. Erst jetzt nahm Tannenberg den schweren, würzigen Geruch wahr, der die Luft im Atelier durchsetzte.
Nach wie vor hing Michalsky die selbst gedrehte Zigarette in Lucky-Luke-Manier im Mund. Er inhalierte einen letzten, tiefen Zug, dann spuckte er den Stummel Tannenberg direkt vor die Füße.
»Ihr Bullen müsstet doch eigentlich wissen, dass der Dopekonsum in diesem freien Land legal ist. Habt ihr denn nichts anderes zu tun, als einen armen Künstler in seinen staatlich geschützten Privatgemächern zu überfallen?« Anscheinend begeistert über seine vermeintlich gelungene Sprachakrobatik fing er an zu kichern.
An deiner Arroganz wirst du noch ersticken!, dachte sein zorniger Häscher. Aber gleich danach rief er sich selbst zur Räson. Ich muss mich beruhigen, darf mich nicht von ihm provozieren lassen. Tannenberg fixierte ihn mit einem stechenden, abschätzigen Blick.
Ist dieser alberne Kiffer tatsächlich unser Täter – ein dreifacher, brutaler Mörder?, fragte er sich. Je länger er das von zwei leicht geröteten, stahlblauen Augen und einem dünnen Kinnbärtchen geprägte, hagere Gesicht betrachtete, umso stärker keimten Zweifel in ihm auf. Wenn ich doch nur in seinen Kopf hineinschauen könnte.
»Karl, tu mir mal den Gefallen und mach diese fürchterliche Schrottmusik aus«, zischte er hinüber zu Mertel. Der Kriminaltechniker hatte inzwischen mit einer Inspektionstour durch die Halle begonnen und war gerade in der Nähe der Stereoanlage angekommen.
»Wohl nicht Ihr Geschmack, Herr Oberinspektor«, scherzte der junge Künstler. Dabei grinste er so breit, dass feiner Sand von seinen kurz geschnittenen Schnurrbarthaaren herabrieselte. Wieder ertönte dieses hüstelnde Kichern.
»Leben Sie alleine hier?«, brach Sabrina die kurzzeitig eingekehrte Stille.
»Ja, Schätzchen, leider.« Er musterte die attraktive weibliche Erscheinung schräg vor sich. »Aber du könntest doch bei mir einziehen.«
Die Kommissarin ließ sich von dieser billigen Anmache nicht beeindrucken. »Haben Sie keine Eltern oder Geschwister?«
»Nö, Ma-ma ist vor vielen, vielen Jahren mit einem Ami durchgebrannt. Und Pa-pa ist schon zu den lieben En-ge-lein emporgeflogen«, unternahm er einen Ausflug in die Babysprache.
»Gehört Ihnen der Kombi draußen vor der Tür?«
»Klar, Schatzi«, er hauchte einen Kuss in ihre Richtung, »so ein alter Benz ist das ideale Transportauto. Und da kann man auch noch ganz andere Sachen mit machen. Vor allem innen.« Wieder dieses alberne Kichern.
»Wohnen Sie hier in Ihrem Atelier?«, fragte Tannenberg so ruhig wie nur irgendmöglich. Dabei ruhten seine zusammengekniffenen
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