Bonita Avenue (German Edition)
Wilbert treffen werde. Das habe er ihr noch bei ihrem letzten Streit entlockt. «Aber, Siem, bitte», sagte er mit einer Stimme wie ein Jammerlappen, «das weißt du nicht von mir.» Während Sigerius sich von dieser Nachricht erholte, fiel ihm auf, wie ausgemergelt Aaron aussah, statt von der Anstrengung gerötet, war er grau wie ein Eierkarton. Seine Haut konnte sich jeden Augenblick von seinem Kopf lösen und wie ein Jutesack auf die Matte rutschen. «Ich hoffe so sehr, dass es wieder in Ordnung kommt, Siem. Ich habe dir das nie gesagt, aber für mich ist Joni die Mutter meiner Kinder. Seit dem ersten Tag.»
Er nickte. Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Mit ein bisschen Glück verhinderte er das Treffen. Erst einmal wird es verschoben, und auf die Verschiebung folgt die Absage. «Aaron, mein Junge», schleimte er mit der Doppelzüngigkeit, die er bisher für seine Dekane reserviert hatte, «ich will gern ein gutes Wort für dich einlegen. Was ich dir jetzt sage, werde ich auch Joni sagen, das verspreche ich dir. Ihr beide gehört zusammen, und was du mir da gerade anvertraut hast, das sagt man nicht einfach so daher. Ich möchte nicht, dass ihr alles einfach wegwerft. Es sind verwirrende Wochen für jeden in Enschede, auch für euch. Ich finde, du und Joni, ihr solltet in Urlaub fahren. Gemeinsam . Und zwar so bald wie möglich. Ich lade euch ein.»
«Ist das dein Ernst, Siem?», sagte er mit zitternder Unterlippe. «Das würde ich dir hoch anrechnen.»
Der junge Mann verlor fast die Beherrschung, und er spürte, dass er es genoss. Er nahm Aarons Dankbarkeit mit einem väterlichen Lächeln entgegen, aber im abschließenden Kampf kriegte er ihn klein. Fanatisch waren sie immer, am Ende ihres Trainings ging es richtig zur Sache, doch diesmal war er wie besessen . Packen, seitenverkehrt, ein Griff nach links, um Verwirrung zu stiften, hoch oben am Kragen, sein kräftiges Handgelenk an Aarons glühend heißem, widerspenstigem Hals. Als sie gerade zu trainieren angefangen hatten, konnte Sigerius ihn regelrecht um den Finger wickeln, er klopfte die Matte mit dem großgewachsenen Körper aus, laute Schläge, die wunderbar echoten in der leeren Halle. Aber je genauer Aaron seinen Stil kennenlernte und sein Waffenarsenal, seine Tricks durchschaute, umso mehr nahm sein Vorsprung ab; Aarons Kondition verbesserte sich, er bewegte sich von Mal zu Mal geschickter, und der Altersunterschied von fünfundzwanzig Jahren kam immer mehr zur Geltung. (Er erinnerte sich daran, dass Joni einmal vorbeikam, um bei ihrem Training zuzusehen. Bis zu ihrem abschließenden Kampf hockte sie lächelnd und Grimassen schneidend auf der langen, niedrigen Bank unter der Sprossenwand, aber als er und Aaron eine Viertelstunde später wieder voneinander abließen, war sie geflohen. Sie saß oben in der Cafeteria des Sportzentrums, kess, strahlend, Cola light mit einem Strohhalm. «Was für ein Scheißsport, unglaublich», rief sie von ihrem Barhocker aus. «Ich musste gehen, denn sonst hätte ich euch getrennt.» Was hast du schon gesehen, dachte er.)
Er war wie entfesselt. Etwas von ganz früher war geweckt worden, sein Mordinstinkt, Aaron machte ihn blutrünstig. Er verspürte eine Feindseligkeit in sich wie nur noch selten nach 1972. Die Matte war größer als die Wettkampf-Tatami im Nippon Budokan, er schleifte den Jungen auf der endlosen Mattenfläche hin und her, zerrte ihn zu Boden, fegte die Füße unter seinem Körper weg, kleine Siege, der Saukerl wehrte sich verbissen, doch er trieb ihn in die Enge, versuchte, ihn aufzumischen. Sie rangen mit ihren freien Armen, die Tritte, die er Aarons Fußknöchel auf der Innenseite verpasste, sollten weh tun, ein paarmal zog er ihm die Jacke über den verschwitzten Kopf. Ich mach dich fertig, dreckiger Zuhälter . Packen, losreißen, erneut packen, zerren – jetzt rein, uchi mata, er schleuderte sein Bein zwischen Aarons Beine, kräftig anspannen, der Junge lag auf seiner Hüfte auf, federn, kräftig ziehen – nein, zurück, und gleich noch mal. Ja, jetzt. Das kurze lange Schweben, einen Moment lang berührte nur noch der große Zeh seines Standbeins die Matte, Aaron flog, schwerelos, dann, rums, der harte Aufschlag. Ippon. Der Geruch des Staubs, den er mit seiner Beute aus der Matte geklopft hatte. So hatte er auch Kiknadze zu Boden geworfen, so hatte er Mus aus Maejima gemacht. Sigerius federte mit einem Bein, seinem guten, etwas längeren Bein, ab und beschrieb, den Blick auf
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