Bonita Avenue (German Edition)
lassen.
Der falsche? Ein abergläubischer Mensch würde hierin einen Fingerzeig des Schicksals sehen. ( Du irrst dich , geh nach Hause, vergiss das alles .) Er wischt sich die Hände an der Hose ab und schaut sich um. Schau dich niemals um . Beim zweiten Versuch gleitet das Schloss auf.
Er geht in die Diele und schließt die Tür hinter sich. Gut eine Minute verstreicht, bis er jenseits seines Herzschlags die Stille wahrnimmt. Ein unbestimmter, tierischer Geruch dringt ihm in die Nase. Er atmet aus und fragt sich, ob er die Tür von innen abschließen soll. Eine Nachbarin, die hereingeschneit kommt und eine Gießkanne füllt. Er überlegt, wie er darauf reagieren könnte: Versicherungsunterlagen, der Freund meiner Tochter hat aus dem Urlaub angerufen, Blechschaden, ich bin oben noch eine Zeitlang beschäftigt.
Auf der weiß angestrichenen Treppe ein Stapel Geschirrtücher, eine Stufe darüber ein Paar Joggingschuhe. Da muss er hin, nach oben, doch erst öffnet er zur Sicherheit die Tür zum Wohnzimmer. Dort ist es beengt und staubig, er kommt sich plump vor, als würde er alles umstoßen. Auf dem Couchtisch, um den sie alle einmal im Jahr herumsitzen und ein Stück Vlaai essen, liegen Badmintonschläger und ein Köcher mit Federbällen. Vor dem Fernseher ein stilisiertes Sofa mit weichem purpurfarbenem Stoff, dazu passende Schalensessel, zwei säulenförmige Lautsprecher, die Aaron und er zusammen in Münster gekauft haben, ein alter Dual-Plattenspieler, daneben ein Stapel Jazz-LPs – sein Eigentum, wie er erkennt. Die faszinierende Bücherwand entlockt ihm ein Lächeln, aber das Lächeln ist ein nervöses. In seinem linken Augenwinkel bemerkt er ein großes dunkles Viereck mit leuchtenden Rändern: Die Vorhänge zum Garten hin sind zu. Irgendwo beginnt etwas sonor zu brummen. Der Kühlschrank? Die Vorhänge zur Straße hin sind offen, leider; eine Marrokanerin schiebt einen Kinderwagen über den Bürgersteig vor dem Haus, sie schaut ihn an. Immer lächeln und grüßen. Hinter ihr ein niedriges Apartmenthaus, dahinter ein Bauzaun, der Roombeek umgibt. Sein Herzschlag setzt aus: Jemand poltert eine Treppe herunter, rums, Tür zu – bei den Nachbarn? Ruhe bewahren. Frankreich ist weit weg. Du hast perfekt dafür gesorgt, dass sie das Land verlassen.
Hier habt ihr fünfzehnhundert Gulden, und nun haut ab. Genießt die Zeit, entspannt euch. Sprecht euch aus. Er geht in die kleine Küche und nimmt ein Glas, das auf der Anrichte steht, lässt es voll Leitungswasser laufen und trinkt es schlürfend leer. Es war eine Notlösung, lieber hätte er in aller Ruhe abgewartet. Ein geeigneter Augenblick, um von dem Schlüssel Gebrauch zu machen, wäre irgendwann von allein gekommen, immerzu fuhren die beiden in Urlaub, und man fragte sich, woher sie das Geld dafür hatten. Aber dann erzählte Tineke ihm, dass es Stunk gab. Eine ernsthafte Beziehungskrise. Es hing an einem seidenen Faden. Tineke war zu Ennios Begräbnis gegangen, eine triste, mäßig besuchte Feier, sie hatte erwartet, Joni und Aaron dort zu treffen, doch ihre Tochter war allein. Hinterher hatte sie ihrer Mutter in der Trauerhalle vom Streit mit Aaron erzählt und gesagt, sie könne sich nicht vorstellen, dass das mit ihnen noch einmal etwas werden würde.
Das machte die Sache komplizierter. In Urlaub fuhren sie dann vorläufig nicht mehr, vielleicht nie wieder. Und er konnte ja wohl schlecht beim Ex-Freund seiner Tochter einbrechen … Vorige Woche, bei ihrem letzten Training: Bis fünf Minuten vor dem vereinbarten Termin rechnete er damit, dass Aaron nicht auftauchen würde. Aber er war wie immer in die staubige Halle gekommen. Besser abwarten, bis er selbst davon anfängt, dachte er. Mit dröhnendem Geklatsche legten sie die Matten aus, sprachen kurz über die EM, die bald stattfinden sollte, wärmten schweigend ihre Muskeln auf, trainierten Bodentechniken und machten Kata – und während all der Zeit kein Wort. «Aaron», fing schließlich er davon an, «was meinst du, kommt das wieder in Ordnung zwischen Joni und dir?»
«Hast du also noch mit ihr gesprochen?» Sie standen da und zupften ihre Anzüge zurecht, der kahle Lulatsch mit seinem schwarzen Gürtel zwischen Kinn und Brust.
«Hast du noch mit ihr gesprochen?»
«Nein. Ich darf sie nicht anrufen. Du kennst Joni ja.» Kenne ich Joni? Dass ich nicht lache . «Ich finde es schrecklich, Siem.»
Sie schwiegen einen Moment. Irgendetwas schien Aaron zögern zu lassen, bevor er sagte, dass sie
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