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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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die Saaldecke gerichtet, einen Halbkreis des Triumphs.
    «Los, steh auf, Mann.»
     
    Er geht erneut in die Diele. Mit großen, vorsichtigen Schritten steigt er die Treppe hinauf, die Luft wird mit jeder Stufe dünner. Was er tut, dient der Wahrheit. Vom Treppenpodest gehen vier graue Türen ab. Durch die milchgläsernen Fensterchen über den Türen fällt schwaches Licht aus zweiter Hand. Er ist hier schon einmal gewesen, vor Jahren, bei der traditionellen Hausbesichtigung. Eine der Türen steht einen Spaltbreit offen, am oberen Rand hängt ein grünes Wäschegestell; vorne T-Shirts, Boxershorts, zwei Jeans – nichts von Joni. Ganz hinten ein Judo-Anzug, sein Judo-Anzug, den er Aaron geliehen hat. Unerwartet wogt eine Wärmewelle durch seinen Körper, der Fundus an Sympathie, die er für seine Familie empfindet. Was macht er hier um Himmels willen? Er will diese Empfindung bewahren, sie auf jeden Fall wiederherstellen, er will zurück zum Zustand vor diesem Theater.
    Jetzt bloß kein Gejammer . Hinter der Tür das Schlafzimmer. Hastig inspiziert er das abgezogene Boxspringdoppelbett, darunter Wollmäuse, ein zusammengeknülltes T-Shirt, ein Stöpsel Ohropax; hinter den Schranktüren: Männerkleidung, so wie sie aus dem Wäschetrockner kommt, ein absolutes Chaos, er tastet mit ausgestrecktem Arm hinter die Haufen. Nichts. Auf dem Nachtschränkchen Bücher, noch mehr Ohropaxstöpsel, ein fast leerer Tablettenblister, den er nimmt und kurz betrachtet: Temazepam. Als er sich umdreht, steht er vor dem Ankleidespiegel, Auge in Auge mit sich selbst; das hellgraue Leinen seines Sommeranzugs ist von der Zugfahrt zerknittert, sein Schnurrbart struppig wie eine dritte Augenbraue. Schaut er immer so … unheimlich drein? Ein Nichtsnutz, der sich verkleidet hat als Mann mit Einkommen, der Schatten seines bereits wieder wachsenden Barts, die dunklen, tiefliegenden Augen, getrübt und rot unterlaufen vor Anspannung. Wem ähnelt er? Mit einem Schrecken fällt es ihm ein: Wilbert, er hat etwas vom Aussehen des Jungen nach drei Wochen Untersuchungshaft. Wie mag sein Sohn jetzt aussehen, nach sechs Jahren Knast?
    Er geht zurück in den Flur, wirft einen raschen Blick ins Badezimmer auf der Rückseite; an der Decke über der Duschkabine schimmelt es, die Waschmaschinentrommel steht offen, er greift in den Plastikkorb neben der Tür: Handtücher, Waschlappen und erneut: Männerkleidung. Auf dem Kunststoffbord über dem gelblichen Waschbecken steht ein würfelförmiges Fläschchen Aftershave, ohne nachzudenken, macht er einen Schritt darauf zu, zieht den Deckel ab und sprayt ein wenig an seinen Hals, ein schwerer Duft, an den er sich vage erinnert.
    Die meisten Fotos wurden auf einem Dachboden aufgenommen, es fällt ihm erst jetzt wieder ein – unter Dachschrägen. Er geht den Flur entlang und schaut zum ersten Mal an die Decke: eine braune Luke, die mit einem kupferfarbenen Bügelschloss versperrt ist. An einem Ring im Holz ist ein kurzes Seil befestigt, das er zu fassen kriegt, wenn er sich streckt. Im Teppich sind zwei viereckige Vertiefungen zu sehen, die Abdrücke der Klapptreppe. Man schiebt die Leiter hoch, und schwupps, keiner schenkt deinem Dachboden Beachtung.
    Und jetzt?
    Hektisch sucht er nach Schlüsseln. Zuerst durchwühlt er die Schubladen der beiden Nachtschränkchen. Diverse Bahnfahrkarten, Visitenkarten, Zeitschriften, Kugelschreiber, vergilbte Zeitungsbeilagen, Blister, Tablettenröhrchen, angeknabberte Tabletten, die lose herumliegen, eine halbvolle Flasche Bokma Genever in der einen Lade, die andere ist, abgesehen von einer Wärmflasche aus Gummi und zwei Schlafmasken von Singapore Airlines, die er Joni einmal mitgebracht hat, leer. Er hebt die Bücher auf den Schränkchen hoch, tastet danach noch einmal alle Einlegeböden des Kleiderschranks ab, umsonst; geht nach unten in die Diele, holt alles, was sich hart anfühlt, aus den Taschen der Jacken an der Garderobe, durchsucht anschließend vier unordentliche Küchenschubladen unter dem nach Knoblauch riechenden Spülbecken, öffnet alle Schränke, fühlt, tastet, schaut und findet zwischen einem Zimtstreuer und einer Kilopackung Salz einen Abus-Schlüssel.
    Sein Herz stolpert vor ihm her die Treppe hinauf. Aus einer kleinen Kammer mit einem Bügelbrett und einem Berg ungebügelter Wäsche holt er einen hölzernen Stuhl und steigt darauf. Während er am Schloss herumfummelt, spürt er einen schmerzhaften Stich in seinem kurzen Bein. Der Schlüssel ist zu groß.

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