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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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Gott … hat verboten zu fluchen. Er steigt vom Stuhl, hebt ihn an der Lehne hoch und schlägt damit kräftig auf den Fußboden. Laut krachend bricht eines der Stuhlbeine ab. Vor Wut keuchend, presst er sein Gesicht in die Kleidung am Wäschegestell. Der frische Duft von Waschmittel strömt ihm in die Nase. Ruhig. Er nimmt seinen Judoanzug und beißt ins zerwaschene Revers.
     
    Die Aggression, alles zusammen macht ihn wütender und unbeherrschter, als er es im Hinblick auf sich selbst bereit ist zu akzeptieren. Sein Leben lang ist er stolz darauf, seine Wut kanalisieren zu können, und nun schlägt er ein wehrloses, unschuldiges Möbel in Stücke? Kontrolle über die Elektrizität – das hat er bei Geesink am Jansveld gelernt. Im richtigen Moment zu explodieren ist ebenso schwierig, wie nicht zu explodieren. Selbst bestimmen, wann man diese rauschartige Mischung aus Konzentration und Verwilderung abruft, und wenn man sich dazu entschließt, sie abzurufen, dann klemm die Akkukabel auch gleich an deine Muskeln, füttere deinen tagein, tagaus trainierten Judoverstand mit purer Aggression, kein Nachdenken mehr, kein Neocortex, Volt und Ampere, lass die Elektronenströme die Arbeit tun. Er erinnert sich noch haargenau an das erste Mal, als er just im richtigen Moment explodierte – auch das war am Jansveld, es muss im Jahr 1962 gewesen sein. Ob er will oder nicht, für einen Moment befindet er sich in dem nicht allzu großen Raum über der Autowerkstatt im Zentrum von Utrecht. Geesink war bereits Weltmeister, er selbst bei der Armee, neunzehn Jahre alt und naiv; naiv und gutgläubig, so wie jetzt.
    Er trainierte erst seit einem halben Jahr in Utrecht, als sie eines Abends Besuch bekamen von drei Kerlen aus dem Tun-Yen, einem Amsterdamer Judo-Verein. Er wusste, dass dort sehr starke Burschen kämpften, aber was den unangekündigten Besuch so spektakulär machte, war der Umstand, dass Jon Bluming in dem Verein Mitglied war. Diesen Bluming, den sah man nie irgendwo, aber umso mehr hörte man von ihm: Seit Geesink in Paris die Judowelt auf den Kopf gestellt hatte, forderte Bluming den frisch gekürten Weltmeister öffentlich heraus. Bei jeder Gelegenheit ließ er verlauten, er werde Geesink plattmachen, «ich klappe ihn zusammen wie einen Gartenstuhl». In der Klatschzeitschrift Panorama wurde er dahingehend zitiert, dass Geesink nicht der Beste der Welt sei; in Japan kenne er zahllose Judokas, die verächtlich auf Meisterschaften herabsähen, an denen Europäer teilnähmen, und er behauptete, denen der Reihe nach Mores gelehrt zu haben. Geesink schien nicht beeindruckt zu sein, er ließ Bluming einfach reden. Es ließ ihn kalt.
    Doch ihm – ihm wurde warm davon. Es beleidigte ihn. Er fühlte sich von Blumings Angeberei persönlich angegriffen. Ihm bedeutete es ziemlich viel, bei Geesink auf den Schilfmatten stehen zu dürfen, für ihn wie für den Rest der Menschheit war Geesink ein Judogott, ein Held, ein Vorbild. Wenn er nach einem Abend am Jansveld durchgewalkt auf der Pritsche in der Kromhout-Kaserne lag, dankte er dem Herrgott dafür, dass er bei Anton Geesink trainieren durfte. Es war phantastisch , dort über der Autowerkstatt liefen herausragende Judokas herum, einer wie der andere technisch begabt und explosiv, da war Theo Klein, da war Joop Mackaay, und Menno Wijn natürlich. Da waren auch die Snijders-Jungs, eineiige Stilisten, die in seinem Bataillon waren, Himmel und Hölle hatten sie zu dritt in Bewegung setzen müssen, um viermal pro Woche ins Dōjō gehen zu dürfen. Es war unglaublich. Noch vor gar nicht so langer Zeit hatte er gesehen, wie Geesink Weltmeister wurde, in Paris, einfach von der Tribüne aus, er wohnte noch bei seinem Vater in Delft. Er und ein paar Jungs aus seinem Verein waren in einem Renault Dauphine nach Paris gefahren, kauften sich wie alle anderen auch eine Karte fürs Stade de Coubertin und jubelten dem baumlangen Holländer zu, der einen Japaner nach dem anderen besiegte, und jetzt, nicht einmal ein Jahr später, erklärte ebendieser Weltmeister ihm, wie er seinen Schulterwurf verbessern konnte, riet ihm, mehr an seiner Technik zu arbeiten, und fand, es sei an der Zeit, dass er Hanteln anschaffe und ein Mann werde. «Du kommst also aus Delft?», fragte Geesink ihn mit seiner schleppenden, tiefen Stimme. «Sehr gut. Wenn du das nächste Mal Urlaub hast, nimmst du nicht den Zug, Simon, sondern das Fahrrad. Ich bin jahrelang jeden Monat mit dem Rad nach Antwerpen gefahren. Zum

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