Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
Vom Netzwerk:
blicken lässt, meint sie zu verstehen, obwohl er sich noch nicht getraut hat, ihr zu erzählen, dass sie auch mit Judo aufgehört haben. «Siem, mein Lieber, Joni lässt wenig von sich hören, findest du nicht?» Auch diese Gelegenheit, für Klarheit zu sorgen, lässt er verstreichen, mehr noch, er fördert genau das Gegenteil. Zu seinem eigenen Entsetzen ist er offenbar bereit, alles zu tun, um zu verhindern, dass Joni ihn verrät. Er tut etwas, das außergewöhnlich niederträchtig und aussichtslos ist. Und noch dazu riskant. Bei Yahoo richtet er unter dem Namen ihrer Tochter eine E-Mail-Adresse ein, und von dieser verfluchten Scheinadresse aus schickt er ab und zu eine Nachricht an seine eigene E-Mail-Adresse, meistens nur ein paar Zeilen, manchmal auch mehr: «Lieber Papa, liebe Mama, liebe Janis, es ist phantastisch hier, bin auf der Golden Gate Bridge gewesen, habe hier leider noch kein Telefon, aber zum Glück gibt es ja E-Mail. McKinsey ist toll, aber anstrengend. Alles Liebe, Joni» – derartige Nichtigkeiten, und weil Tineke selbst keine E-Mails schreibt, druckt er diese zum Himmel stinkenden Lügen für sie aus. Es erfüllt ihn mit Ekel und Selbsthass, aber er tut es.
     
    Als würde er bestraft: keine Bewegung auf dem Haager Binnenhof. Er verfolgt die Berichterstattung in den meinungsbildenden Zeitungen, bis seine Finger schwarz sind, liest vor dem Schlafengehen die Memoiren bedeutender Staatsmänner. Das Gerücht kommt auf, er sitze im Haager Wartezimmer, irgendwo hat es ein Leck gegeben. In einer Talksendung auf Radio Oost sagt jemand, ein Student wohlgemerkt, Sigerius werde Wissenschaftsminister; am nächsten Tag wimmelt er vier Journalisten ab.
    Das ärgerliche Vakuum füllt sich mit Selbstzweifel, es passiert ganz von allein. Ist er nicht päpstlicher als der Papst? Manchmal findet er es empörend dämlich, dass er diese Internetseite mit Prostitution auf eine Stufe stellt, dasselbe ist es nämlich nicht; das sind die Momente, in denen er findet, dass er ein spießiger alter Sack ist, doch schon eine Minute später schnürt ihm das Tabu erneut die Luft ab, dann schreit er in seiner Not fast auf und versorgt seine Frau mit einer weiteren Lügen-E-Mail. Dann wieder: Bin ich zu verkrampft? Bin nicht ich derjenige, der moralisch und sittlich festgefahren ist? Ein ängstlicher Mann ohne Sex?
    Während er seine Universität routiniert leitet, denkt er über seine Kinder nach. Wilberts Scheitern versteht er, bei so einer Mutter, bei so einem Vater , einem Vater, der einfach abgehauen ist. Einen Sohn wie Wilbert hat er regelrecht verdient. Aber das mit Joni ist eine andere Geschichte, er erzählt sie sich immer wieder, weil es seine eigene Geschichte ist: die eines Mädchens, das von ihm selbst zum Glück vorherbestimmt war, einer Tochter, der er Geborgenheit geschenkt hat und das Maximum an Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ, das man aus einem mit sich selbst beschäftigten Mann herauspressen kann – nicht zuletzt, um sein schlechtes Gewissen wegen Wilbert zu beruhigen, er gibt es umstandslos zu, aber das ändert nichts daran, dass sie all seine Liebe bekommen, um nicht zu sagen: kassiert hat, bedeutend mehr Liebe jedenfalls, als er selbst es als Kind für sich erhoffen konnte.
     
    Mittwochabend, 11. Oktober – er und Tineke schauen mit einem Teller auf dem Schoß gerade Nachrichten, als de Graaf anruft. Während des Gesprächs, das gut zwei Stunden dauert, erfährt er, dass die sozialliberale D66 Anfang der nächsten Woche Hildo Kruidenier offiziell das Vertrauen entziehen wird, vielleicht auch schon früher; die interne Begründung ist, dass der Bruchpilot die Partei in den Umfragen in den Abgrund reißt, das dürfe so nicht länger weitergehen, der Mann müsse weg. Kruidenier wird zurücktreten, ein anderes Szenario gibt es nicht, und darum will de Graaf ihn einen Tag später als Nachfolger präsentieren. Ob er dazu bereit sei. Mehr als das, antwortet Sigerius, und ja, er kann morgen früh nach Den Haag kommen, um mit Wim Kok zu sprechen. Und ob er damit einverstanden ist, dass der Verfassungsschutz seine Akte überprüft – natürlich bin ich damit einverstanden, mach’s gut, Thom, ja sicher, ich danke dir, ja, auch ich freue mich.
    Als er am nächsten Tag nach einem entspannten Gespräch mit dem Ministerpräsidenten nach Enschede zurückfährt, ruft de Graaf ihn wieder an. Mit beschönigenden Formulierungen wird er darüber informiert, dass der Verfassungsschutz auf Wilbert gestoßen ist und

Weitere Kostenlose Bücher