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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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seine Gesandten, gar keine Frage, dass Sigerius längst Minister und inzwischen wahrscheinlich sogar Ministerpräsident war.
    «Da schau her», sagte der Mann. Er saß wieder wie ein Fatzke auf dem Rand der Couch. «Und was sagt uns das über Sigerius und seinen leiblichen Sohn?»
    Die Frau schaute auf ihre auffällig große weißgoldene Armbanduhr. War das überhaupt eine Armbanduhr? Eine tintenartige Wolke Angst stob ihm ins Blut, produziert in verschiedenen Drüsen zugleich, Kriegsproduktion: Panik überschwemmte seine Gefühle von vor einer Minute, wie konnte sich das so schnell ändern, er krallte die feuchten Hände in die ledernen Armlehnen seines Sessels. Diese Uhr, wahrscheinlich war das ein Apparat, eine von der NASA getestete Webcam, und wahrscheinlich sahen Sigerius und die Frau sich in diesem Moment an, saßen Gericht über ihn, unser Freund hier meint, dass er uns durchschaut hat, dabei wussten sie nicht, dass er auch das durchschaut hatte. Das große Beschatten hatte angefangen.
    «Wilbert spielt keine Rolle, weder in seinem Leben noch in unserem», sagte er so leise wie möglich. «Sigerius hat ihn schon früh verlassen.» Jetzt, da er sie durchschaut hatte, fiel ihm auf, dass Wahlöö einen riesigen Siegelring trug, seine geballte Boxerfaust ähnelte dem Kopf eines Zyklopen, er sah in das Auge, eine Blende öffnete sich. Niemand spielte noch eine Rolle im Leben irgendeines anderen, wurde ihm auf einmal immer deutlicher bewusst. Geklapper war zu hören, ein Windstoß setzte die Abdeckungen vor seiner Terrassentür in Bewegung, sie blickten alle drei hin. Auch er war von Sigerius verlassen worden, und wie. Seltsamerweise konnte er sich an den genauen Grund nicht erinnern, es hatte bestimmt einen Auslöser gegeben, fest stand jedenfalls, dass sein Freund ihn ordentlich in der Kälte stehenließ. Groll überkam ihn. Was bewog Sigerius immer wieder dazu, seine Angehörigen fallenzulassen? Er wurde vor Ort ausspioniert, aber man konnte das Ganze auch umdrehen, warum nahm nicht er das Heft in die Hand? Das war seine Chance, die Verbindung stand, das war der Augenblick, sein Herz auszuschütten. Wie ein leiblicher Sohn hatte er die Pflicht, Sigerius – vorzugsweise über die Köpfe von Schulze und Schultze hinweg – deutlich die Meinung zu geigen. Es war keine angenehme Botschaft, doch mit der Zeit würde sein Freund es zu schätzen wissen. Er wollte sagen, dass er Sigerius wie einen Vater liebe, dass er sich aber fürchterlich im Stich gelassen fühle, und genau das sagte er auch, doch was aus seinem Mund kam, war so leise und unverständlich, dass der Mann seinen kieselsteinernen Kopf zu ihm herüberneigte.
    «Was sagst du, Mann?»
    Er erschrak, plötzlich roch er Sigerius’ unglaubliche Macht, es war ein prickelnder frischer Kaugummigeruch. Seine bereits mobilisierten Tränen flossen nun wirklich, er heulte vor lauter Kummer. Der Mann fragte ihn noch einmal, was er habe sagen wollen, und legte dabei sein kleines plattes Ohr beinahe auf Aarons Mund. Aaron flüsterte etwas über Vaterliebe und Verleugnung.
    Der Mann federte zurück, betrachtete ihn. «Wahrscheinlich ist es nicht so schlimm», sagte er. Die Frau schlug mit einem Knall ihren Notizblock zu. Sie sah sich mit runzelig hochgezogener Nase im Zimmer um. «Wir gehen dann mal», sagte sie.
     
    Gemäß der klassischen Physik verstrich Zeit. Das Wetter wurde ungemütlicher, pfeifende Stürme erhoben sich, die Regenwasser und zusammengerollte Herbstblätter ins Haus bliesen. Leise krabbelten seine Haustiere umher, er lauschte andächtig dem Nagen und Rascheln. Die Nächte wurden länger.
    Am Abend des zweiten Besuchs – oder war es Nacht? – pflügte sich das Geräusch der elektrischen Türklingel durch die ihn umgebende klebrig zähe Stille. War er wach? Ja, er hatte die Klinke der Klotür in der Hand. Hatte er Essen bestellt? Er konnte sich nicht daran erinnern, und außerdem musste er dringend mal. Anstatt das Vernünftigste zu tun und sich in der Toilette einzuschließen, eilte er ins Wohnzimmer. Er hockte sich vor der kalten Heizung hin und spähte unter den Vorhängen hindurch auf den Gartenweg. Die Sicht war schlecht, er schob den linken Vorhang ein wenig beiseite. Seine Schläfe musste er gegen das eiskalte Glas pressen: Stand dort jemand unter dem hölzernen Vordach? Die Bestätigung folgte in Form einer Reihe kräftiger Schläge gegen die Tür, vor Schreck fiel er rückwärts auf seinen Hintern. Auf Knien kroch er zurück zu dem Spalt

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