Bonita Avenue (German Edition)
Kontakt, den Herr Sigerius zu ihm unterhält. Was können Sie uns darüber berichten?»
Der Mann siezte ihn wie eine Ampel, die jeden Moment auf «du» umspringen kann. In ihm brodelte es vor Aggressivität. In seinem Büro, tief in den Kellern eines Betonkomplexes mit endlosen Gängen und Schleusen, schaukelte eine grelle, alle Farben verschluckende Lampe über dem Tisch.
«Kein Kontakt», sagte Aaron. «Null. Wie Sie vielleicht wissen, ist sein Sohn, na ja … wie sag ich’s einigermaßen höflich? Ein etwas seltsamer Genosse.»
Der Mann nickte ernst, aber die Frau stieß bei seinen letzten Worten ein kurzes Lachen aus, das sie sich mit einer Hand vom Mund pflückte. Weil sie bemerkte, dass er sie durchschaute, fragte sie: «Wieso steht da ein Pfahl?»
«Den brauche ich für meine Expeditionen», sagte er, zu bereitwillig und zu betont – er bereute es augenblicklich, und weil er nicht weiterredete, starrten sie zu dritt auf den mit Erde beschmutzten Zaunpfahl, den er bei einer seiner Reisen zu einem Supermarkt aus dem Boden gezogen hatte. An den oberen Teil, an die Nägel, an denen früher ein Eisendraht befestigt gewesen war, hatte er ein dickes Seil gebunden.
«Expeditionen?», fragte der Mann. Er sprach das Wort auf eine Weise aus, als hätte es keine wissenschaftliche, sondern eine bedrohliche, staatsgefährdende Bedeutung, die er zudem noch persönlich nahm.
Aaron nickte. «Wer auf die Behörden setzt», antwortete er so ehrlich wie möglich, «wird die Feuerwerkskatastrophe nie verstehen. Deshalb erforsche ich in meiner Freizeit die tiefere Bedeutung von diesem und jenem.»
Der Mann heftete seinen Blick auf ihn, glühender Stahl, den er von sich abschütteln musste.
«In eschatologischem Sinn», führte er aus und sah zu der Frau hinüber. Sie lächelte ihm zu, als läge er in einer Wiege.
«Und was hat dieser Pfahl damit zu tun?», wollte sie wissen.
Alles Mögliche. Sollte er etwa erzählen, dass er manchmal, wenn die Häuser in seiner Straße dunkel waren, mit dem Pfahl zur Blijdensteinlaan ging? Dort wählte er ein Stück Bauzaun gegenüber der Mauer des Reichsmuseums aus, stellte den Pfahl an die bemalte Trennwand, stieg darauf und kletterte dann auf den hölzernen Rand. An dem Seil zog er den Pfahl zu sich hoch und sprang in die stockfinstere Abbruchhalde. Gelegentlich streunte er einfach so umher, musste die ganze Zeit von der Asche, die seine Füße aufwirbelten, niesen und beleuchtete Trümmerstücke mit der Taschenlampe. Während er über die tiefere Bedeutung von all dem nachgrübelte, über die unzähligen Auswirkungen, jede davon kausal, schnüffelte er an den riesigen Maschinen, mit denen die Aufräummannschaften tagsüber herumfuhren, studierte wie ein Zahnarzt die Fundamente der zerstörten Häuser. Wenn er müde wurde oder ihm das Krakeelen in seinem Kopf Angst einflößte, begab er sich zu dem Krater, wo früher einmal die Lagerhäuser von S. E. Fireworks gestanden hatten, eine sandige Grube, die mit Bändern abgesperrt war. Und legte sich hin. Da lag er dann auf dem Rücken und spähte von seinem Observatorium aus zu den Sternen, ließ sich von der Stampede in seinem Hirn platttrampeln. Es war ein furchterregender Ort. War es klug, diesen Bullen davon zu erzählen? Die Angst im Brennpunkt seiner rußigen Enklave. In der Ferne ein Lichthof über der unwissenden Schlafstadt.
«Nichts», sagte er.
«Erinnerst du dich an Konflikte zwischen Sigerius und seinem Sohn?», fragte der Mann. Eschatologie interessierte ihn nicht im Geringsten.
«O ja», antwortete er. «Sie haben sich über alles und jedes gestritten. Ein Glas Cola, und sie haben sich in die Wolle gekriegt.»
«Vorhin hast du noch behauptet, es gebe keinerlei Kontakt.»
«Hab ich das gesagt? Sie haben auch keinen Kontakt mehr, schon seit langem nicht. Das sage ich doch nicht einfach so.»
Die Fragen, die der Kerl ihm stellte, waren suggestiv. Im Handumdrehen versuchte er, Aaron über Probleme zwischen Wilbert und dessen Vater auszuhorchen; er wollte irgendwas. Offenbar hätte er am liebsten erfahren, dass Sigerius und Wilbert in diesem Zimmer mit den Fäusten aufeinander losgegangen und sie alle beide durch die Scheibe der Terrassentür geflogen sind. Währenddessen fielen ihm Details ein. Ich könnte aus dem Nähkästchen plaudern, dachte er, ich könnte erzählen, was ich über das Gerichtsverfahren gegen Wilbert weiß und über die verlogene Rolle, die Sigerius darin gespielt hat. Aber erst einmal ließ er den
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