Bonita Avenue (German Edition)
unter dem Vorhang. Der Schatten – der Gestalt nach zu urteilen, handelte es sich um einen Mann – strahlte Ungeduld aus, machte drei Schritte nach hinten und schaute nach oben, ging dann wieder zur Haustür und klapperte ohrenbetäubend mit dem Briefkastenschlitz. Er hatte etwas auf dem Rücken, einen kleinen Rucksack. Sein Mund stieß gehetzte Wölkchen aus.
In Aarons Gedärm grummelte es. Warum war er nicht auf die Toilette gegangen? Etwas Dunkles huschte rasch an der Fassade entlang, er hielt den Atem an, der Mann blieb mitten vor dem Wohnzimmerfenster stehen. Was sollte das? Im nächsten Augenblick: ein gnadenloser Schlag gegen die Scheibe. Sein Herz flitzte wie ein Hund unter die Couch. Zwei Handflächen wie Kinderfüße auf dem Glas, dazwischen kondensierte Atemluft. Vollkommen aus dem Gleichgewicht, fiel er nach vorn und konnte gerade noch verhindern, dass er sich das Kinn auf der Granitfensterbank aufschlug, doch seine Knie stießen mit einem dumpfen metallenen Dröhnen gegen die Heizung. Als er aufschaute, starrte er in zwei tiefliegende, unruhige Augen. Es waren die brennenden Ölfelder von Sigerius. Er wandte sich sofort ab, bohrte sein Kinn in die Brust. War es so weit? So saß er da, in der Hocke versteinert, Blähungen zurückhaltend wie Hänschen Brinker, heftig mit dem Nachbild kämpfend. Was war mit Sigerius’ Gesicht geschehen? Kam das von der Terrassentür? Von Trauer, Mutlosigkeit, Erniedrigung? Es sah entstellt aus, eingefallen, als hätte jemand sein ursprüngliches Gesicht in eine Teufelsmaske verwandelt.
Träumte er das? Er spürte Tränen über seine Wangen laufen. Mach doch auch die Scheibe da kaputt, dachte er. Schlag sie ruhig ein. Und zerschlag danach meinen Kopf. Er war gefühllos vor Angst: Seine Knie, seine Beine, sein ganzer Körper, sie existierten nicht mehr, all seine Nerven liefen unter seiner Schädeldecke zusammen, in Erwartung des Schlags. Na los!
Zersplitterndes Glas. Er kippte nach hinten, stöhnte auf. Verblüffend weit weg und zugleich Angst einjagend nah hörte er klirrende Glasscherben. Aber: kein Schmerz. Kein Knacken von zerbrechenden Knochen, nicht die Wärme von hervorsprudelndem Blut. Er spürte nichts! Stattdessen hörte er, wie in der Diele das Schloss seiner Haustür aufschnappte. Erleichterung wich sogleich neuer Angst: Er kommt mich holen .
Wieder passierte etwas anderes. Sigerius kam nicht ins Zimmer, sondern stürmte mit donnernden Schritten die Treppe hinauf. Eins mit dem Fußboden, blieb er auf seinem Hintern sitzen, lauschte auf die Geräusche oben. Nach einer kurzen Stille hörte er das schrille Quietschen der Bodentreppe, und danach: leise Schritte, Sigerius war auf dem Dachboden! Er selbst hatte sich nach dem schrecklichen Abend im Juni nicht mehr dort hinaufgewagt. Ein paarmal hatte er auf dem Treppenpodest gestanden, in der einen feuchtkalten Hand den schweren Bolzenschneider, die andere auf einer Stufe der Bodentreppe, und hatte verzweifelt hinaufgestarrt, mit der festen Absicht, den ganzen Krempel kurz und klein zu schlagen. Aber er vermochte es nicht.
Was wollte Sigerius da? Waren sie zurückgekommen, bevor er sich da oben richtig hatte umsehen können? Hatte er etwas liegengelassen?
«Siem», rief er leise.
Seine Zähne klapperten, als säße er in einem Kaltwasserbad, er presste die Schneidezähne auf die Unterlippe. Was sollte er gleich sagen?
Nach einer Ewigkeit, die nicht einmal eine Sekunde zu dauern schien, hörte er erneut die Bodentreppe, Knarren, ein lauter Aufprall. War er das letzte Stück gesprungen? Klobige Schuhe polterten die Treppe runter. Er tobte!
Aaron räusperte sich. «Siem», flüsterte er, er konnte seiner Stimme keine Kraft verleihen. Abwehrend hob er die Hände. Er wollte schreien – stattdessen entleerte er sich. Seine Boxershorts füllten sich mit warmem Kot. «Siem …», weinte er. «Es tut mir leid. Es tut mir ja so leid.» Der Kot verteilte sich außerhalb der Unterhose, floss zwischen seine Schenkel.
Unter unsäglichem Dröhnen flog die Haustür zu, Schritte entfernten sich auf den Platten des Gartenwegs. Er atmete aus. Eine Tür schlug zu, ein Auto wurde gestartet und fuhr weg.
Als er aus dem Schlaf aufschreckte, war es immer noch stockfinster. Bereits in seinem Traum hatte es gestunken, doch was er jetzt roch, war unerträglich; er musste würgen. Seine Exkremente waren abgekühlt und klebten wie erstarrte Lava zwischen seinem Hintern und dem Hosenboden seiner Jogginghose. Mit Galle im Mund
Weitere Kostenlose Bücher