Bonita Avenue (German Edition)
stand er auf, den lauwarmen Pamp mit beiden Händen haltend. Prustend vor Ekel, lief er durch das Zimmer, in die Diele. Er stolperte die Treppe hoch, im Badezimmer drehte er die Hähne der Dusche auf, zögerlich begann das Wasser zu fließen, es war Tage her, dass er das letzte Mal daruntergestanden hatte. Er zog sich in der Duschkabine aus, ließ die verschmutzte Kleidung fallen und trat darauf, als stünde er in einem Bottich voller Trauben, die zertrampelt werden müssen. Das heiße Wasser prasselte auf ihn nieder, er hörte nicht auf zu stampfen, immer wieder spritzte er Shampoo und Badeschaum zwischen seine Füße, eine halbe Stunde, eine Stunde, tat das so lange, bis all das schäumende Stinkewasser im Abfluss verschwunden war und er nur noch das Palmolive roch.
Erst danach seifte er seinen Körper ein, schrubbte seinen Unterleib, die Schultern, Arme, den Bauch, die Beine, bis die Haut gerötet war. Er wusch den geronnenen Schweiß aus seinen Achselhöhlen und spritzte Babyshampoo auf die dünne Haarsträhne, die über seinen Schädel hing.
Langsam trocknete er sich ab, mechanisch. Dann schlang er sich ein Handtuch um die Hüfte und ging den Flur entlang. Am Fuß der Bodentreppe holte er tief Atem und begann, nach oben zu steigen. Auf dem Dachboden herrschte Chaos. Das Gestell mit Jonis Schuhen sah aus, als wäre es umgetreten worden, die Pumps lagen über den ganzen Fußboden verstreut. Die weißen Rollschränkchen hatte jemand in die Mitte des Raums gezogen, um sie herum Slips, Hemdchen, Strümpfe. Die Schubladen des Schreibtischs, auf dem der Computer stand, waren offen. Er stieg bis ganz nach oben, setzte sich auf das zerwühlte Bett. Er biss sich in den aufgeweichten Handballen. Was hatte Sigerius hier gewollt? War er beim ersten Mal etwa gar nicht oben gewesen? Oder lag all das hier schon seit Monaten so rum?
Sein Blick fiel auf einen Kleiderhaufen rechts neben dem Treppenloch. Er stand auf und ging hin. Es war Männerkleidung. Ein hellgrauer Anzug mit Kreidestreifen, Anzugjacke, Hose, alles komplett. Unter der Hose weiße Boxershorts. Das weiße Oberhemd hatte einen hellrosafarbenen Streifen, die Manschettenknöpfe saßen noch drin. Die Schuhe … es waren Sigerius’ sauteure Greves, unverkennbar, eine der Sohlen war ein wenig dicker. Warum um Himmels willen lagen hier seine Sachen? Hatte er sie hierhingebracht? Aber warum? Er befühlte die Hosentaschen, die Innentaschen der Anzugjacke. Ein Schlüsselbund, ein einzelner Hausschlüssel, ein Portemonnaie, ein totes Handy.
Er ging zurück zum Bett und ließ sich der Länge nach drauffallen. So lag er da, Gott weiß, wie lange. Vielleicht schlief er. Auf jeden Fall war ihm durch und durch kalt, als er sich erhob und zu dem Kleiderhaufen ging. Er ließ das Handtuch von den Hüften zu Boden gleiten und begann, sich zitternd anzuziehen.
16
Am ersten Dezemberwochenende ist er erst am Samstagabend wieder in Enschede. Weil Tineke es schade findet, dass sie in diesem Jahr «nichts an Nikolaus machen», hat er in Den Haag bei einem Juwelier am Denneweg ein silbernes Armband mit Süßwasserperlen für sie gekauft. Sie führt ihn in ein soeben erst eröffnetes vegetarisches Restaurant in der Hengelosestraat, und kaum haben sie bestellt, reißt sie das marmorierte Papier von dem kleinen Päckchen. Ihre Reaktion kommt ihm eher überrascht als erfreut vor, mit hochgezogenen Augenbrauen schlingt sie sich den Schmuck ums mollige Handgelenk. «Das passt nicht zu dir», sagt sie, und es stimmt – spontane Geschenke passen nicht zu ihm, immer steckt irgendwas dahinter. Es sind Ablassperlen, jede Perle entspricht einem Jahr Fegefeuer, und wie ein Süßwassermatrose lächelnd sitzt er da.
Er berichtet dies und das vom Ministerrat. Sie essen irgendwas mit Paksoi und Kichererbsen. Er verschluckt sich fast, als Tineke sagt: «Ich habe mit Joni gesprochen.»
«Ach ja? Hat sie dich angerufen?» Es ist ziemlich dunkel im Restaurant, und er hofft, dass sie nicht bemerkt, wie er um Fassung ringt.
«Ich ha–»
«Wir haben ihre Nummer doch gar nicht?» Ruhig beiben, denkt er, du kannst eh nichts mehr daran ändern.
«Ich war das Warten satt.» Sie wischt sich den Mund mit der Papierserviette ab. «Ich kann sehr gut verstehen, dass die Zeit für sie wie im Flug vergeht, aber ich finde, fünf Monate …»
«Vier. Als wir auf Kreta waren, habt ihr noch telefoniert.»
Sie sieht ihn verwirrt an. «Was spielt das für eine Rolle? Meinetwegen, dann sind es vier. Ich finde vier
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