Bonita Avenue (German Edition)
blauen Anzug mit Krawatte, die Frau in einem aschgrauen Kostüm, beide trugen einen Schal um den Hals, aber keinen Mantel. Sie hatten eine lederne Mappe unter den Arm geklemmt. Zeugen Jehovas. Er beschloss, sie weiter zu beobachten, bis sie ein Exemplar des Wachtturms durch den Briefkastenschlitz seiner Haustür warfen und es beim Nachbarn versuchten. Aber das taten sie nicht. Der Mann ließ seinen Blick über die Fassade schweifen, die Frau klingelte erneut, lauter, wie ihm schien. Aaron duckte sich weg, verharrte da unten so leise, dass er die beiden tuscheln hören konnte. Als noch einmal geklingelt wurde, stand er auf und ging zur Tür.
Seine Besucher stellten sich mit Namen vor, die er augenblicklich wieder vergaß. Sie behaupteten, vom Justizministerium zu sein, und wollten ihm ein paar Fragen über «Herrn Sigerius» stellen. Für einen Moment war er sich sicher, dass sie ihn über den Tod des Vaters seiner Ex-Freundin informieren wollten.
«Sehen wir so traurig aus?», fragte der Mann freundlich. Und dabei guckte er ihn sympathisch an: Falten des Wohlwollens pflügten sich einen Weg über den steinharten Schädel, aber sein Händedruck verriet ihn; hydraulisch war der. Der Mann roch nach einer Mischung aus diskretem Aftershave und dem braunen Öl, mit der er seine Handfeuerwaffe pflegte.
«Man hat die Absicht, Ihrem Freund einen sehr wichtigen Posten anzuvertrauen», ergänzte die Frau. Sie lächelte nicht, schob aber die Schuhspitze über die Schwelle. Irgendwas gab ihm zu verstehen, dass er jetzt einen soliden, ordentlichen Eindruck auf diese Leute machen musste. «Kommen Sie doch rein», sagte er.
In der Diele hörte er, wie die Frau nachdrücklich ihre dreieckige Nase voll Luft sog. «Pferde?», fragte sie in dem Moment, als etwas Seltsames passierte: Er ging voraus, doch es war, als ob sie alle drei zum ersten Mal seine Wohnung beträten. Er träumte, glaubte er jedenfalls, er träumte den Geruch von frischem Mist, ein Geruch, der ihm bisher kaum aufgefallen war. Ihm schien, als sähe er sich von der Couch aus ins eiskalte Zimmer kommen und sofort realisieren, dass er, gelinde ausgedrückt, auffällig herumlief, er trug Sigerius’ Judojacke wie einen Morgenmantel, der früher einmal weiß gewesen war, inzwischen aber vor Flecken und Essensresten nur so strotzte. Auch an seiner erhöhten Herzfrequenz merkte er, dass sein Wohnzimmer alles Mögliche ausstrahlte, nur keine Solidität und Ordnung: Er war gerade dabei, seine Bücherregale auszuräumen, überall türmten sich Stapel von Büchern, mit denen er im Winter seinen Allesbrenner heizen wollte, die Temperaturen fielen, und die Heizung wurde höchstens noch lauwarm. Außerdem musste er Müllsäcke kaufen. «Achten Sie nicht auf das Durcheinander», murmelte er, eigentlich mehr zu sich selbst.
Der Mann schob mit dem Fuß ein wenig Meerschweinchenkot beiseite, was ein feines Rollgeräusch verursachte. Die Frau hob ihre nachgezogenen Augenbrauen. Aaron beeilte sich, einen Stapel Pizzakartons vom Schalensessel neben dem Vorhang zu heben. «Setzen Sie sich doch», sagte er und deutete auf die purpurfarbene Couch, die einzige Stelle im Zimmer, wo nichts lag, weil er selbst dort nicht mehr lag. Die quadratischen Kartons legte er auf den Couchtisch, oben auf ein Mauerwerk aus Büchern, er nahm in dem nun freien Sessel Platz. Die Spaghettischüssel, aus der er im Liegen gegessen hatte, stand seitlich gekippt neben dem rechten Fuß der Frau, heraus lappte eine geronnene Zunge aus beiger Sauce.
«Stimmt es, dass Sie der Freund von Sigerius’ Stieftochter sind?», fragte der Mann. Er hockte auf der Couch, als wäre es eine Tankstellentoilette. «Nach unseren Informationen sind Herr Sigerius und Sie gut befreundet.» Er deutete auf einen Badmintonschläger, der unter einem Stapel Kartons hervorragte. «Sie machen zusammen Sport und verkehren auf vertrautem Fuß.»
«Das stimmt.» Er sah keine Notwendigkeit, das Ganze zu differenzieren. Wie sollte er es auch erklären? Es ging sie nichts an, dass alles aus und vorbei war.
«Wir interessieren uns für Sigerius’ Sohn», sagte der Mann, «sein einziges leibliches Kind.»
Aaron nickte. Die Rollenverteilung war klar: Die Frau hielt einen Notizblock auf dem Schoß, wollte alles aufschreiben, was er sagen würde. Er sah, dass sie neugierig den Zaunpfahl betrachtete. Wie Gullivers Zahnstocher lehnte er am ausgeweideten Bücherregal.
«Oder nicht mal so sehr für den Sohn», sagte der Mann, «sondern für den
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