Bonita Avenue (German Edition)
die beinahe weggerostet war, erhob sich an der Kreuzung Rosecrans Ecke Avalon Boulevard eine dunkle Burg von mindestens einhundert Metern Länge und einhundertfünfzig Metern Breite, in Seitenansicht.
«Da arbeite ich, Mama», sagte Rusty.
Während wir uns dem Gebäude näherten, zeichneten sich in der Festungsmauer die aberhundert hohen, schmalen Fenster ab, deren Scheiben samt und sonders eingeworfen waren. In einem schleppenden Gespräch mit dem City Council hatte ich mich auf Gedeih und Verderb dazu verpflichtet, innerhalb eines Jahres alle Fensterrahmen streichen und neu verglasen zu lassen. Außerdem hatte ich versprochen, die kahlen Bürgersteige, auf denen jeden Tag gleich nach der Sesamstraße gedealt und angeschafft wurde und die auch jetzt mit Verpackungskartons, Glasscherben, Hundehaufen, Menschenhaufen übersät waren, mit jungen Bäumen zu bepflanzen. Die Außenmauern, an denen wir entlangfuhren, sollten wir mit Lampen aus rostfreiem Stahl versehen, damit die Bewohner dieses Stadtdschungels – die Irren, die Obdachlosen und die Junkies, die hier und da in den Eingängen lagen – nicht mehr auf selbstgemachte Feuer angewiesen waren und vor dem Schlafengehen noch ein wenig lesen konnten.
«Da ist er ja», sagte Rusty. Nicht Bobbi aus Steamboat Springs, sondern Vince aus Cleveland, Ohio, stand wie ein Zwerg im meterhohen Türrahmen des Haupteingangs. Rusty fuhr dicht an dem gähnenden Mann vorüber und bremste auf Höhe des großen zylinderförmigen Dachs, das sich über dem drill court wölbte.
«Parkst du drinnen?»
«Keine Zeit.»
Die Hitze strömte in den Maybach wie eine Flüssigkeit, der Uringeruch verschlug mir den Atem. Ein sehniger angeleinter Hund schnüffelte an meinem Fuß, als ich auf den hohen Bordstein aussteigen wollte. «Guten Tag», sagte Rusty zu der korpulenten Schwarzen, die das Vieh mit derselben Kraft wegzog, wie man einen Außenbordmotor zum Leben erweckt. Während wir das kurze Stück zurückgingen, kletterte Rustys Blick an der riesigen Backsteinwand hoch. «Wusstest du, dass Joe Louis und Rocky Marciano hinter diesen Mauern geboxt haben?», fragte er mich.
«Ja», sagte ich, «denn das habe ich dir ja erzählt.»
Ich glaubte, den abwartenden Welpenblick von Vince aufgefangen zu haben, und winkte, doch er reagierte nicht. Als wir ihn fast erreicht hatten, eilte Rusty mit ausgestreckter Hand auf den Neuen zu. «Maestro», sagte er jovial, « how’s the form ? Guten Flug gehabt?»
Vince nickte.
«Prima, bestens. Siehst hervorragend aus.»
Vince sah alles andere als hervorragend aus, erweckte vielmehr den Eindruck, als wäre er doch ausgeraubt worden, nicht etwa von den Crisps oder Bloods, sondern von der roten Zora und ihrer Bande. Er trug keinen schlecht sitzenden Anzug wie beim ersten Mal, sondern eine verwaschene Hose aus Joggingstoff, deren Knie ausgebeult waren, und über seinen birnenförmigen Oberkörper spannte sich ein Hawaiihemd mit emaillierten Druckknöpfen, zwischen denen dichtes Brusthaar hervorquoll. Trotz der sengenden Hitze hatte er schwere schwarze Schwitzbotten mit Schutzkappen an. Sein ebenfalls birnenförmiges Gesicht, ein genetisches Echo seines untrainierten Körpers, war unrasiert, bis weit über seine Hamsterbacken sprossen pechschwarze Stoppeln. «Zweite Runde» bedeutete für Vince offensichtlich, dass er sich wie zu Hause fühlte.
Vor sich hin summend, schloss Rusty die gusseisernen Türen auf und öffnete eine davon mit trägem Schwung. Ein Panzer hätte da hindurchgepasst. «Kommt rein», sagte er in häuslichem Ton. Zu dritt betraten wir die kühle Lobby. «Licht gibt’s auch», sagte Rusty und machte mit altmodischen Wandschaltern drei Kronleuchter an, die mit einer gewissen Verzögerung zu leuchten begannen. «Hier jedenfalls.» Vor uns erstreckten sich spiegelnde Bodenplatten aus geflammtem Gneis, die im vergangenen Jahrhundert mit einer schwarzen Granitleiste eingefasst worden waren. Hier und da wehten geschrumpfte Ballons und serpentinenartige Luftschlangenhäufchen über die Fliesen, eine Zapfanlage, die noch zurückgebracht werden musste, stand herum: Überbleibsel der Einweihungsparty, die wir in der Woche zuvor gefeiert hatten. Wie die Taschen eines Poolbillards gähnten uns sechs Treppenhäuser an, dazwischen je zwei breite Türen aus glänzendem Eichenholz.
Vince sog die süßlich faulige Backsteinluft ein, runzelte forschend die Stirn. «Ich rieche Grundwasser», sagte er.
Ich mochte ihn nicht. Rusty hatte ihn, wie er es
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