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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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begeistert, daran änderte sich auch nichts. Eine Woche vor der Übergabe hatte ich auf meinem Schreibtisch einen in rote und blaue Flächen unterteilten Stadtplan von South Los Angeles gefunden, Gang Territory Map stand oben drüber. Eine Legende erklärte, dass die blauen Bereiche die Territorien der Crips-Banden, die roten die der Bloods markierten. Der anonyme Angsthase hatte seine Karte auf einem unserer Farbdrucker ausgedruckt, ziemlich naiv: Innerhalb von drei Minuten hatte ich einen Systemadministrator gefunden, der mir sagen konnte, dass Deke dahintersteckte, ein schwarzer Kameramann, der mit seiner Familie gepflegt in Burbank wohnte, aber offenbar mit einem NWA-Shirt auf die Welt gekommen war. «Weniger MTV gucken», mailte ich ihm. «South L. A. ist ein Kunstprodukt, lieber Deke, das Disney-Land von heute. Deine Fuck-Tha-Police-Platten konnte man schon vor zwanzig Jahren überall in der europäischen Provinz kaufen. Ist dir schon mal aufgefallen, wie viel Ähnlichkeit Snoop Dogg mit Goofy hat? Und jetzt nicht mehr ängstlich sein.»
    «Ich mache mir keine Sorgen. Ich frage mich nur, wie sie reinkommt.»
    «Wenn alles glattgeht, sind wir vor ihr da.»
    Seine Worte waren noch nicht verhallt, da verlangsamte sich der Autostrom, bis wir praktisch stillstanden. Rusty ließ die Seitenscheibe seines Maybach herunter und zwängte sich bis zur Hüfte nach draußen. Benzingeruch drang in die rotlederne Behausung. Polizisten waren dabei, die beiden linken Fahrstreifen abzusperren. Es sah ganz danach aus, als würde Bobbi eine halbe Stunde on the streets of Compton totschlagen müssen, ein unschöner Gedanke, wie ich zugeben musste. Natürlich hatte ich Deke gegenüber nur geblufft. Was wusste ich schon darüber? L. A. war eine Metropole mit zehn Millionen Einwohnern, und neun Millionen taten so, als gäbe es Compton, Hawthorne und Inglewood nicht. Ich kam dort nie hin. Dreimal im Jahr fuhr ich, unterwegs zu einer Freundin in Long Beach, mit neunzig Sachen durch dieses Schandgebiet – und damit hatte es sich auch. Deke und sein Stadtplan hatten mich so verunsichert, dass ich einen Abend auf You Tube verbrachte und mir Videoclips der Bloods und Crisps ansah, und ich musste erkennen, dass Goofy keineswegs mehr der gutherzige Goofy von früher war. Die Goofys von Compton liefen mit nacktem Oberkörper durch die Straßen ihrer heruntergekommenen Viertel, verhüllten ihre Gesichter mit Bandanas. Sie sägten die Läufe ihrer shotguns ab und gaben brüllend bekannt, wen sie in willkürlicher Reihenfolge ermorden oder ficken wollten. (Die Polizei, unsere bitches , uns.)
    Mit einem federnden Plumps landete Rusty wieder auf seinem handgenähten Sitz. «Da steht ein LKW mit Auflieger quer. Sie hieven gerade eine Reisschüssel aus der Leitplanke.» So nannte er alle Autos japanischer Herkunft und eigentlich auch alle anderen, die kleiner waren als seins – dieser groteske deutsche Schlitten, von dem es in ganz Amerika nicht einmal hundert gab, meistens gefahren von bejahrten Millionären, die darin ihre gated communities aufsuchten oder verließen. Rustys Maybach war glänzend schwarz, abgesetzt mit Blattgoldstreifen, ein Leichenwagen, der aussah, als sollte er Hochzeitstorten transportieren.
    «Hast du Bobbi am Freitag noch gesehen?», fragte er, als wir endlich weiterfahren konnten.
    «Bei Tyra? Natürlich. Sie war gut.»
    «Aber glaubst du es?»
    «Was.»
    «Was sie über diesen Film gesagt hat.»
    «Es könnte stimmen. Bobbi sagt kein dummes Zeug.»
    «Sie redet viel, wenn der Tag lang ist. Fürchte ich.»
    «Bestimmt ist er an sie herangetreten. Die Ausfahrt da.»
    Rusty sah über die Schulter, wich fluchend einem Geländewagen mit verspiegelten Scheiben aus, auf dem in goldenen Schnörkelbuchstaben Music is my life geschrieben stand. «Vielleicht kommen wir noch rechtzeitig an.»
    Der Anblick blieb imposant, auch noch beim zehnten Mal. Schon in der kleinen Kurve der bröckeligen Beton-Abfahrt beim Harbor sahen wir am weiß glühenden Horizont die Barracks liegen, in Draufsicht. Neben uns fuhr ein verbeulter mokkafarbener Dodge, der stark beschleunigte und dann spät und stotternd bremste; auf dem Beifahrersitz saß ein junger Schwarzer mit einer Damenstrumpfhose als Mütze und schaute auf den Maybach, als wäre der ein Brathähnchen. Nach einer halben Meile auf der Rosecrans Avenue, vorbei an schäbigen Flachbauten, brachliegenden Sandflächen, Fastfood-Restaurants mit Holzbrettern vor den Fenstern und einer Tankstelle,

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