Bonita Avenue (German Edition)
Tatsachen? Was soll denn jetzt dieser Blödsinn?»
Feige entschuldigte er sich bei ihr, sie dürfe nicht vergessen, wie besorgt er gewesen sei und wie schwer es falle, über dieses Thema zu reden. Außerdem sei die Website seit dem Moment, wo er Joni zur Ordnung gerufen habe, Vergangenheit.
«Was will Wilbert dann noch?» Sie nahm die Strumpfhose und warf sie wieder hin.
«Die Fotos gibt es noch. Die verschwinden nie mehr.»
Anstatt auf diese beunruhigende Bemerkung einzugehen, wollte sie wissen, was er zu Joni gesagt habe.
«Das Übliche», stammelte er, «das, was man in so einem Fall eben sagt, es war kein langes Gespräch» – eine Antwort, die Tineke nicht zufriedenstellte. Sie löste eine Tirade aus, die über das Problem hinwegzurasen schien, eine Wut mit zentrifugaler Kraft, die sich nicht gegen Joni richtete, sondern gegen sie und ihn. Sie brandmarkte ihn als den altmodischen prüden Trottel, der er tatsächlich war, als einen Kerl mit so wenig Sexualität im Leib, dass sie sich über die Tendenz seiner erbaulichen Reden manchmal Sorgen mache. «Ich darf doch hoffen, dass du sie nicht wie ein Pastor angeschnauzt hast», sagte sie. «Ich jedenfalls kann gut verstehen, warum sie zu Weihnachten nicht mit nach Frankreich will.» Und: «Wundert es dich etwa, dass die beiden sich getrennt haben?»
Er verspürte die Notwendigkeit, sich zu wehren, allerdings nicht so sehr darum, weil sie sein Taktgefühl, man könnte auch sagen: seine väterlichen Fähigkeiten, in Zweifel zog, sondern weil sie offenbar nicht richtig verstand. «Ist dir klar, worüber wir hier reden?», sagte er. «Ich erzähle dir, dass unsere Tochter wie irgendeine … wie nennt man so jemanden? Wie ein Flittchen im Internet steht. Weißt du, was das bedeutet?»
«Und hörst du, was du da sagst? Wie kannst du es wagen, meine Tochter als Flittchen zu bezeichnen?»
«Tineke …», sagte er, erschrocken von ihrer erhobenen Stimme, von diesem «meine Tochter».
«Kannst du mir die Website zeigen? Darf ich mir vielleicht selbst ein Urteil bilden?»
«Fotos. Es gibt keine Web–»
«Dann zeig mir die Fotos. Wahrscheinlich ist alles halb so schlimm. Ich bezweifle nämlich zum Beispiel, dass du genug Ahnung hast zu entscheiden, wer ein Flittchen ist und wer nicht. Nun zeig sie mir schon, na los.»
«Liebling, ich bitte dich, wir werden uns diesen Schlamassel doch nicht zusammen anschauen? Es ist alles andere als halb so schlimm. Dass ich, dass wir nicht mehr … na ja, das bedeutet doch nicht, dass ich nicht weiß, was …»
«Dass was?»
«Was Porno ist.»
«Porno? Jetzt reden wir also auf einmal über Porno?»
Diesmal wurde er wütend. «Warum schickt mir der Schuft diesen Krempel wohl?» Seine Hand fegte die Unterwäsche vom Sitzpolster, der Slip landete auf dem Couchtisch und rutschte darauf ein Stück weiter. «Wegen ein paar Urlaubsdias?»
«Zeig sie mir. Jetzt.»
«Tien – ich werde dir am Montag ein paar schicken. Ich kann das nicht. Nicht hier.»
Als er am Sonntagmorgen aufwacht, ist Tineke bereits aufgestanden, auf dem Frühstückstisch liegt ein Zettel, jetzt ist sie es, die einen Spaziergang macht, sie muss nachdenken. Worüber er ganz froh ist. Nach dem Frühstück zündet er den Kamin im Wohnzimmer an und setzt sich mit einem Stapel Akten in den Wintergarten, doch das Einzige, was er tut, ist Szenarien entwerfen: Angenommen, sie ruft Joni erneut an und bittet sie um Auskunft, wie wahrscheinlich ist es dann, dass Joni alles erzählt? Und was, wenn er Joni selbst anrufen würde? Um allem und jedem zuvorzukommen? Er versucht, sich dieses Gespräch vorzustellen: Er, der ihr irgendwie klarmachen muss, ja sie davon überzeugen muss, dass er, dass er … nicht … geil auf sie ist?
Er überlegt, wie er es anstellen könnte, sich unauffällig die einhunderttausend Gulden zu beschaffen, es gibt noch ein amerikanisches Konto mit einigen zehntausend Dollar darauf, die niederländische Bank MeesPierson verwaltet die übriggebliebene Hälfte des Spinoza-Preisgeldes und zudem ein paar Hunderttausend Erspartes. Er schaltet den Fernseher ein, um sich die populäre Polit-Talkshow Buitenhof anzusehen, kann sich aber nicht darauf konzentrieren.
Vielleicht lässt sich ja mit Wilbert verhandeln? Schon der Gedanke, mit seinem Sohn zu verhandeln, macht ihn wütend. Wird er allmählich senil? Zum Glück hat Tineke den Brief mit der Geldforderung nicht gesehen, da ist er sich nahezu sicher. Plötzlich sehnt er sich nach Den Haag. Im
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