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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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Kehrblech, klaubt grübelnd alle Kugelschreiber und Bleistifte von den Fliesen. Bei jeder Bewegung, die er macht, wechseln Rippen ihren Platz. Er fischt die Glasscherben aus dem Likör, feudelt den Boden mit einem feuchten Geschirrtuch. Staubzusaugen traut er sich nicht, er muss horchen können. In der Waschküche reißt er, vor Kälte zitternd, ein Stück Pappe von einem Weinkarton und befestigt es mit Klebeband hinter der eingeschlagenen Scheibe.
    Er hat beschlossen, noch in der Nacht loszufahren, und zwar so bald wie möglich. Während er alle Spuren des grotesken Kampfes beseitigt – er bearbeitet die Blutflecke in der Diele und im Wohnzimmer mit Allesreiniger, hängt Tinekes Kleider sorgfältig wieder auf, stellt die Schuhe wieder in den Schrank, wischt mit einem feuchten Tuch das Blut von den Rändern –, wird er ruhiger und denkt über die Plotlosigkeit dieses Abends nach. Es hat sich eine unvollendete Tragödie abgespielt, eine Tragödie ohne auch nur die Spur einer Katharsis, nichts wurde bereinigt, die Hoffnungslosigkeit ist nur noch tiefer geworden. Und nachher? Nachher erwartet man von ihm, sich wieder in seine Familie einzufügen, bei Ria und Hans, sie werden einander begrüßen, und dann? Es wird Weihnachten werden, er wird Tineke von dem Geschehen berichten oder auch nicht, und dann? Im neuen Jahr wird er wie gehabt nach Den Haag fahren, und wenn sein Stab ihn fragt, wie der Weihnachtsurlaub war, wird er sagen: Erfrischend.

19
    Am Morgen hatte er den Zug nach Brüssel genommen und war, noch vor seinem Termin beim Psychiater, in ein Reisebüro gegangen. An einem halbrund ausgesägten Resopaltisch ließ er sich wie eine Toulouser Gans mit Broschüren über Kalifornien stopfen, scenic drives auf dem Highway 1, Nationalparks, die man unbedingt gesehen haben musste, das Death Valley und noch viel mehr. Erst als die junge Frau zu einem Ende gekommen war, eröffnete er ihr sein spezielles Interesse für Los Angeles.
    Gebucht hatte er noch nichts, er war noch in der Sondierungsphase. Sein Plan war, einen Teil des Sommers in Santa Monica zu verbringen, vielleicht in einem Apartment am Strand, eventuell in einem Hotel – ein Fotolehrgang, so versuchte er es später am Vormittag Herreweghe zu verkaufen, zu dem er schon seit ungefähr acht Jahren ging, der Psychiater, der ihm noch von Elisabeth Haitink vermittelt worden war. Aber der fiel darauf nicht herein. Herreweghe war nicht der Typ Beobachter wie Haitink, sondern er korrigierte, ein Arzt, der die Patienten unter seine Fittiche nahm, der sachliche, humorlose Herreweghe verwaltete ihre Psyche.
    Typisch belgisch fand er das mit gepolsterten Wänden ausgestattete Behandlungszimmer, das eingerichtet war, als wären Freud oder Jung in einem Nebenraum gerade dabei, ein Opiat abzuwiegen, schwere, unverrückbare Möbelstücke, Ehrfurcht einflößende Bücherschränke aus Rüsterholz mit Glastüren, hinter denen in Leder gebundene medizinische Zeitschriften daran erinnern sollten, dass man nichts über das eigene Ich wusste. «Sie haben doch schon seit Jahren keinen Fuß mehr über die belgische Grenze gesetzt», sagte Herreweghe.
    «Venlo», antwortete er.
    «Venlo. Und jetzt Los Angeles.»
    Er redete drum herum, was etwas über die Art seiner Pläne verriet, er erzählte Herreweghe von seiner Korrespondenz mit einer Freundin, die nach Amerika ausgewandert sei, wie inspirierend sie über ihre neue Heimat schreibe und dass sie ihn damit angesteckt habe, schon sein ganzes Leben lang habe er einmal nach Amerika gewollt, und noch mehr solcher Phrasen, und kurz sah es so aus, als würde er damit durchkommen, sie sprachen bereits über einen Medikamentenpass und Notfallnummern. Es ging den Mann nichts an, dass er wegen Joni nach Santa Monica wollte, er schämte sich dafür. Er wusste, dass Herreweghe als Professor mit einer öffentlichen Institution zusammenarbeitete, die Stalker behandelte, obsessive Kerle, die von der Justiz mit einem Kleinbus bei ihm abgeliefert wurden, und hatte Angst, dass das S-Wort fallen könnte, zu Unrecht zwar, aber wahrscheinlich kaum zu vermeiden.
    «Wie heißt die amerikanische Freundin?»
    Er versuchte, sich einen falschen Namen auszudenken. Leider reichte Herreweghe ein einziges spastisches Zucken eines winzigen Gesichtsmuskels, um seine Fangnetze aufzustellen.
    «Handelt es sich um Joni?»
    «Ich habe nicht vor, sie zu besuchen.» Er spürte, dass er rot wurde. Dennoch sagte er in gewisser Weise die Wahrheit: Ein vereinbartes Treffen

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