Bonita Avenue (German Edition)
mit Joni war nicht drin, das lehnte sie höflich ab, eigentlich noch nicht einmal das, sie umschiffte das Thema, und vielleicht war ein offizieller Besuch ja auch zu viel des Guten, da emotional überfrachtet, dachte er. Daher wollte er auf eigene Faust nach Los Angeles reisen, dort bleiben und Urlaub machen, was war daran verkehrt? Und aus dieser entspannten Situation heraus wollte er erneut den Versuch wagen, Kontakt aufzunehmen.
«Aber ihre Adresse in Los Angeles, die haben Sie.»
Die imperative Frage, darin war Herreweghe ein Meister, so tun, als sei ein Fragezeichen im Anmarsch, aber in letzter Sekunde einen Punkt ausspucken. An eine offene Frage konnte Aaron sich nicht einmal erinnern.
«Nein. Wieso?»
Sunset Boulevard 14023. Santa Monica, am Rand von Beverly Hills, das hatte er ziemlich geschickt herausgefunden. Die Tonlage ihres E-Mail-Wechsels ließ nicht zu, sie nach ihrer Adresse zu fragen, außerdem hätte das jede Spontaneität unmöglich gemacht, einen Überraschungsbesuch etwa oder eine zufällige Begegnung vor ihrem Haus, von der er sich einiges versprach. Weil sie aber nicht im Telefonbuch von Los Angeles stand, hatte er sich etwas anderes ausdenken müssen, und dabei war er auf die listige Idee gekommen, im Telefonbuch von San Francisco nach Stol zu suchen, und man konnte sagen, was man wollte – dieser Stol stand mit seiner Telefonnummer fein säuberlich im Internet. Abgesehen davon, dass nichts dagegen sprach, den Kerl wegen einer praktischen Frage anzurufen, war ein solches Telefonat eine subtile Rache, wie er fand.
Statt Stol hatte er ein Kind am Apparat gehabt, einen Jungen von etwa sieben Jahren, schätzte er, der sagte, dass sein Vater golfen sei. Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass die beiden also tatsächlich Nachwuchs in die Welt gesetzt hatten, war ihm nicht vergönnt. Sei seine Mutter denn vielleicht zu Hause?, hatte er mit gespielter Naivität gefragt. «Die wohnt in L. A.», antwortete der Junge. «Heißt deine Mutter zufällig Joni Sigerius?» Er versuchte, so unbeteiligt wie möglich zu klingen, und nachdem der Junge es bestätigt hatte, fragte er sofort nach der Adresse, zu forsch, Misstrauen schwang plötzlich in der Kinderstimme mit, «wer bist du überhaupt?», fragte der Junge rührend direkt, er sagte you , natürlich gab es dort drüben kein Sie , aber es war ein Du – ganz ohne Zweifel. Ein wenig überrumpelt nannte er noch einmal seinen Namen.
Herreweghes Direktheit war ein Spaten, den er einem senkrecht in die Seele stach. Joni – er wolle doch gern mal wissen, wie das jetzt so mit Joni sei, ein Name, der nach so vielen Jahren die Alarmglocken läuten lasse; er sah auf seine Uhr. «Ich nehme an, Sie wollen sie dort treffen», sagte er. «Erzählen Sie mir doch mal von Ihrer letzten Begegnung.»
Sein Fehler war es, dass er ernsthaft auf die Frage einging und sich unter Herreweghes Röntgenblick den Dezember des Jahres 2000 ins Gedächtnis rief, unter den Augen eines Mannes, der einen Großhandel mit Tabus betrieb. Es war eine Zeit, an die er keine konkreten Erinnerungen hatte, ein datumsloser Brei, ein abstraktes Durcheinander von beängstigenden Eindrücken und manischen Tiefflügen über dem, was er damals für ein menschliches Leben hielt – er solle es doch einfach mal versuchen, drängte ihn Herreweghe (Bademeister am Sprungturm, das wäre auch etwas für ihn gewesen), wann habe er sie das letzte Mal gesprochen, und: «Wie war es?»
Wie es war … wollte Herreweghe das wirklich wissen? In gewisser Weise sei es ermüdend gewesen, beinahe tot zu sein. Doch dann sei Joni bei ihm vorbeigekommen, der Tod habe noch eine Runde ausgesetzt. «Aber wie war das … Der freie Fall da im Dezember.» Müsse das wirklich sein? Jetzt? Er sitze hier mit einer Tasche voller Reisebroschüren. Sie habe ihn gerettet, da gebe es nichts zu diskutieren. Erst habe sie ihn angerufen, aus den Staaten. Ja, auch dieses Telefongespräch sei irgendwo in seinem Gedächtnis vergraben, es sei ein kleines Wunder, dass sie ihre Versuche, ihn zu erreichen, nicht aufgegeben habe. Was ohne Joni aus ihm geworden wäre? Sie habe ihn verlassen und sei zurückgekehrt.
In der Zwischenzeit schob sich Inlandeis über Roombeek. Frostige Kälte und früh einsetzende Dunkelheit waren eine Folge des Fallouts, die Atmosphäre hing voller Partikel, die weder niedergehen wollten noch wegen gestörter Corioliseffekte endgültig zerstäubt wurden. Es sah bedrohlich aus. Die Sonne flimmerte wie
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