Bonita Avenue (German Edition)
mit dem Stanford University Family Planning Service. Ich mailte Boudewijn.
Als ich am nächsten Morgen in einem leeren Frühstücksraum saß und Baguette mit Nutella aß, rief er an.
«Wo bist du?»
«In Lüttich.»
«Und? Was hat er dazu gesagt. Sie haben Arend eine Tablette gegeben, und er hat sich einigermaßen beruhigt – und dann? Erzähl.»
«Da gibt’s nicht viel zu erzählen, Bo. Mein Ex-Freund hat eine Psychose, eine Monsterpsychose. Er glaubt, dass die Sonne aus gelber Marmelade besteht, die er sich aufs Butterbrot streichen kann. Ich finde das ganz schlimm.»
«Aber das Kleine wird er vorläufig nicht vermissen.»
Erst Monate später, als ich weniger mit mir selbst beschäftigt war und nicht mehr fürchtete, Boudewijn könnte dahinterkommen, dass ich für 1,5 Millionen Dollar ein Boot zu verkaufen versuchte, als der Gedanke, meine Eltern wiederzusehen, mir keine Albträume mehr bescherte, als wir auf unserem Hügel in San Francisco in aller Ruhe zusammenlebten – erst da ging mir auf, was ihn zu alledem bewogen hatte. Im Nachhinein verstand ich seine herzliche Anteilnahme, den todernsten Ton seiner E-Mails, mit denen er mich dazu gebracht hatte, den Termin in diesem Stanford-Family-Dingsda abzusagen und «jeden Tag mindestens fünf Minuten» über «das Glück der Mutterschaft» nachzudenken, ein Ausdruck, den er, ein kinderloser Mann von fünfzig Jahren, wortwörtlich so gebrauchte. Im Nachhinein verstand ich seine Befriedigung darüber, dass ich die Zwölf-Wochen-Frist verstreichen ließ und bei McKinsey meine Schwangerschaft bekanntgab. Verstand sein Lächeln am Flughafen Schiphol, wo er mich in irgendeinen KLM-Businessclub entführte, den ich als «suspekt» bezeichnete, und warum er mitten in diesem Schuppen, den Mund voll Krabbensalat, laut auflachen musste. «Ich habe traurige Neuigkeiten», sagte er mit erhitztem Kopf, «ich habe die Scheidung eingereicht. Brigitte und ich trennen uns. Wir machen uns gegenseitig total verrückt.» Danach brachte er mich zum Zug nach Enschede und legte zum Abschied seine beringte Hand kurz auf meinen Bauch. (Und immer noch ahnte ich nichts, hatte ich nicht den blassesten Schimmer, dass er bereits an seiner Versetzung nach San Francisco arbeitete, hatte ich nicht die Spur eines Verdachts, dass er schon damals vorhatte, bei der Entbindung meinen Kopf zu halten. Vor einigen Jahren habe ich seine E-Mails aus jener Zeit noch einmal nachgelesen, und es stand tatsächlich alles bereits darin. Schon im Oktober 2000 schrieb Boudewijn, dass Brigitte ein Problem damit habe – und zwar zu Recht, wie er selber fand –, dass er unfruchtbar sei.)
Jetzt sagte er: «Und nun ab zu deinen Eltern. Richte deinem Vater meine besten Grüße aus.»
«Mach ich.»
Das Boot. Die verfluchte Barbara Ann. Wir mussten sie wirklich loswerden, und das am besten schon im ersten Anlauf, nach einer einzigen Besichtigung also, denn ich hatte nicht vor, deswegen noch einmal aus den Staaten anzureisen. Sie lag noch in dem Yachthafen, in dem wir sie im Sommer zurückgelassen hatten. Am nächsten Tag sollte ich den eventuellen Käufer in Sainte Maxime treffen, einen wohlhabenden ICT-Amerikaner, den ich über einen Kunden von McKinsey kennengelernt hatte, einen Mann, der jeden Winter in Monaco verbrachte und schon seit Jahren auf der Suche nach einem Schiff wie unserer Palmer Johnson war.
Gegen Mittag überquerte ich die französische Grenze und beschloss, bis Lyon weiterzufahren, sodass ich am Tag darauf einigermaßen früh in Sainte Maxime ankommen würde und genug Zeit hätte, das Boot aufzuräumen. So allein im Alfa war mir die Route du Soleil fremd: ein grauer, freudloser Streifen zwischen auf und ab schwingenden Laubhügeln, die Restaurants und Raststätten in dösigem Halbschlaf, keine Sonnenblumen, keine Staus, keine Erwartungen. Es fiel mir schwer, nicht ständig an die Vluchtestraat zu denken und an das, was ich dort vorgefunden hatte. Warum liefen die Dinge immer anders? Nach stundenlanger Fahrt auf dunklen Mautstraßen mit Frachtverkehr fand ich im weihnachtlich beleuchteten Zentrum von Lyon ein Hotelzimmer mit einem durchgelegenen Bett, in dem ich kein Auge zumachte.
Ende November hatte meine Mutter bei McKinsey angerufen, mir blieb keine Zeit, mich zu Tode zu erschrecken, sie überrumpelte mich. Plötzlich hatte ich in der vollbesetzten Bürolandschaft meine Mutter am Apparat – ich wusste nicht, was mir blühte, und tatsächlich habe ich nie erfahren, ob sie einen
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