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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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ihn Mitte der Siebziger erobert hatte, eine Zeit, als sie verhext gewesen waren und miteinander Sex hatten, wie Sex wahrscheinlich sein sollte. Für ihn war das damals alles eine einzige Verwirrung, ein trübes Niemandsland, in dem er, ohne sich darüber bereits im Klaren zu sein, das eine heilige Streben – der beste Judoka der Welt zu werden – durch etwas anderes ersetzte, etwas Ungewisseres, etwas vollkommen Absurdes, etwas, was aussah wie eine private Traumwelt mit Gleichungen auf Karopapier. Ziellos, deplatziert, gescheitert – so fühlte er sich auf dem Höhepunkt seiner sexuellen Laufbahn, auch hoffnungslos außer Form, aber zugleich aufgeputscht, angespannt und durchgeladen. Tatsächlich war es die einzige Phase in seinem Leben, in der er Lust auf Sex hatte.
    In der Zeit davor, als er jahrelang neben seinen diversen Jobs drei, manchmal vier Stunden täglich trainierte (Judo, Langlauf, Ringen, Jiu-Jitsu, Krafttraining, ein Mann mit Muskeln wie ein Gorilla und einem Proteinspiegel, als wäre er im Hungerstreik, die Taschen seines Dufflecoats vollgestopft mit Rosinen, Bananen und Zartbitterschokolade, um nicht vor Erschöpfung umzufallen, dann vor dem Wiegen wieder tagelang fasten, Dauerlauf im Regenmantel, aufwachen in einer Pension neben der Turnierhalle, die Augen tief in den Höhlen, die Zunge wie Ochsenleder) – in jenen Jahren baumelte seine Libido wie eine traurige Franse an seinem Bewusstsein, ein Fädchen, das ihn höchstens zweimal im Monat in den Lenden kitzelte, nächtliche Momente, in denen er Margriet aus ihrem Trinkerschlaf weckte, um auf sie draufzukriechen wie ein Waran.
    So ist es nun einmal, er kann auf ein Sexualleben von anderthalb Jahren zurückblicken, kaum kürzer als sein Grundwehrdienst, und danach war es vorbei, sein körperliches Interesse an Tineke schwand furchterregend schnell. Die Mathematik bekam ihn zu packen, nahm ihn am Schlafittchen, und vorbei war es. Im Nachhinein denkt er – ein Gedanke, der auf gar keinen Fall aus seinem Kopf ins Freie darf –, dass sein sexuelles Aufleben eine Art Abtrainieren der körperlichen Energie gewesen war, die er auf der Liege in der Wohnküche angehäuft hatte, die Umsetzung von körperlicher Betätigung in das Turnen und Ringen in seinem seltsamen Kopf. Vorher lag er auf Kiknadze, Ruska und Snijders, und danach entlud er sich auf Tineke?
    Es war bestürzend, wie schnell er in dieser Hinsicht wieder zu seinem alten, besessenen, solitären Ich geworden war. Ehe sie sich’s recht versahen, waren sie in Amerika, wo für ihn und Tineke alles bergauf ging, alles grünte und blühte in Kalifornien, Guaven, Mandarinen, Zitronen, seine neuen Töchter, ihre Liebe zueinander – alles, außer ihrer Beischlaffrequenz, ein Wort, das ihn immer noch nervös stimmt, wenn er es in der Viva oder einer anderen Zeitschrift liest, die einem weismacht, wie man leben soll. In Berkeley und Boston lebte er für Zahlen. Die Männer seines Schlages hießen nun Quillen und Wiles und Erdös, skelettartige Zahlendichter aus durchscheinendem Reispapier, die sich in den First ihres Schädeldachs zurückgezogen hatten. Paul Erdös wohnte damals gelegentlich in ihrem Holzhaus an der Bonita Avenue, wenn er sich in Berkeley aufhielt, und dann arbeiteten er und der Maestro gemeinsam auf brachliegendem Terrain, schrieben nach einer geknackten Problemstellung gleich einen Aufsatz, machten achtzehn, manchmal zwanzig Stunden ohne Pause durch, und als sie einmal nach einem solchen Marathon im hohen Gras hinter dem Haus am Tisch saßen und sich unterhielten, da sagte Tineke im Scherz zu Erdös – aber eigentlich zu ihm, o ja: «Mathematiker, Paul, sind nicht viel mehr als Maschinen, die Kaffee in Theoreme umwandeln, findest du nicht auch? Ihr immer mit euren Theoremen, ich kann das Wort nicht mehr hören», woraufhin Erdös vor lauter Zustimmung lachend nach Luft schnappte und in seine Zitterhände klatschte.
    Zu der Zeit schob Tineke, wenn sie zusammen in dem Bett lagen, das sie aus Verliebtheit für sie beide geschreinert hatte, dann und wann noch eine Hand unter das Gummiband seiner Pyjamahose – für ihn das Startsignal, um von seiner Algebra anzufangen, von der gläsernen Wand zwischen ihm und dem Beweis, nach dem er auf der Suche war, und er malte ihr aus, wie er die Wand in Scherben schlagen wollte, am nächsten Tag, sobald er wieder an seinem Schreibtisch in der Evans Hall sitzen würde. Und ja, er fühlte sich schuldig und unvollkommen. Doch Tineke schien seine

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