Bonita Avenue (German Edition)
Ausflüchte zu akzeptieren, sie verfolgte die außergewöhnlichen Leistungen, die er erbrachte, genau und glaubte offenbar, dass die Kultivierung von Genialität Opfer forderte, vielleicht aber war sie auch nur froh darüber, dass er sich jeden Abend zwischen sieben und neun alle Mühe gab, Joni und Janis ein guter Vater zu sein. In der Zeit, als sie in Boston wohnten und er kurz vor seinem Durchbruch stand und regelmäßig auf einer Luftmatratze in seinem MIT-Büro schlief, war Sex etwas, worüber sie sprachen wie über Gras, das dringend gemäht werden musste. Und seit rund zehn Jahren sprachen sie darüber gar nicht mehr. Das erotische Geschehen war erst aufgeschoben und schließlich ad acta gelegt worden. Sie respektierten die Privatsphäre des anderen. Küssten sich bei Abfahrt und Heimkehr auf die Wange.
Heim kehrte er übrigens nie mehr unangekündigt oder leise oder gar überraschend, seit er, ohne es zu wollen, gesehen hatte, dass Tineke im Besitz eines kleinen Apparats aus grauer Ostblockplaste war, eines Geräts von der Farbe eines alten Wählscheibentelefons, aus dem eine Eisenstange mit einem Hartgummikopf ragte, der, wenn man den Stecker in die Steckdose steckte, kräftig und schnell auf und nieder stampfte; ein energisch ratterndes Stampfen war das. Ein lautes Maschinchen, mit dem man bequem Walnüsse hätte zerschmettern können, das seine Frau aber, wie ihm klarwurde, als das Geräusch ihn eines Nachmittags ins Schlafzimmer gelockt hatte, nach einem Tag harter Arbeit in ihrer Schreinerwerkstatt zur Selbstbefriedigung benutzte.
Wenn er sich recht erinnerte, dann verbrachte er den Monat nach Isabelles dezidierter Ansage in seinem Arbeitszimmer, halbnackt und bei Nacht. Es war der Monat, in dem er die Websites entdeckte. Sein Arbeitszimmer hat die Form eines Kubus, aber wegen der leichten Schräge unter dem Dach, der vergilbten Zeitschriftenstapel und der verstaubten Bücher in den Ecken und entlang der Wände ähnelt es einem verkleisterten Vogelnest. Es ist das einzige Zimmer im Bauernhaus, das von Tinekes Schreinerhand verschont geblieben ist. Es ist sein Reich. Papas Masturbierzimmer.
Isabelle hatte die Hähne weit aufgedreht, rostiges Wasser, das jahrzehntelang in der Leitung gestanden hatte, prasselte heraus. Sie hatten es sich inzwischen zur Gewohnheit gemacht, dass er ihr eine SMS schickte, wenn Tineke eingeschlafen war, und sobald sie antwortete – Isabelle schlief nie vor drei, schlief sie überhaupt einmal? –, glitt die Garnele aus dem Bett, schwamm die Treppe hinauf ins Arbeitszimmer und schaltete den Laptop ein. Frohgemut malte er ihr in E-Mails die Zukunft aus, die er sich für sie beide ausgedacht hatte. Dass sie glücklich war, schloss er aus den Visionen, von denen sie ihm selber mailte: Sie wollte eine lange Reise mit ihm machen, sie wollte gern in einem Haus mit ihm wohnen, sie fragte ihn, ob er eigentlich sterilisiert sei, und noch anderes mehr, das ihm, sobald es nicht seinem eigenen Mund entsprang, ein bisschen übertrieben vorkam.
Jetzt, da sie so konkret wurden, gelang es ihm manchmal, sie aus dem Vereinslokal ihrer Studentenverbindung in die Campuswohnung und dann in ihr Zimmerchen zu simsen, wo sie sich auszog und, so wie er, nackt an den Computer setzte. «Erzähl mir genau, was du mit mir tun wirst, wenn wir demnächst auf Reisen sind.» Wie wörtlich Isabelle dieses «demnächst» meinte, merkte er am folgenden Nachmittag. «Schätzchen», simste sie ihm, «wie hat T reagiert?» Wie hat T reagiert? Er hatte doch noch einen Monat Zeit? «Ich warte den richtigen Moment ab», simste er zurück.
Tage und Nächte gingen ins Land, und erneut änderte sich etwas an Isabelles Einstellung. Vorher hatte er sie von bewundernd und unbefangen zu belehrend und moralistisch hinüberwechseln sehen – jetzt wurde sie schonungslos. Ihre E-Mails wurden kürzer, die Pausen dazwischen immer länger. «Wann sagst du es ihr?», antwortete sie, als er sie fragte, ob sie erregt sei. Manchmal geilte sie ihn auf, schwieg dann fünfzehn Minuten, eine Stunde, den Rest der Nacht. Weil es am Ende jedes Mal enttäuschend war, da sie nie richtig mitmachte – aber auch weil er nie aufgab, süchtig nach den digitalen Kuverts, wie er es nun mal war –, begann er vor lauter Elend, im Internet herumzusurfen. Schier verrückt geworden vor aufgeschobener Befriedigung, suchte er nach Fotos, auf denen er sehen konnte, was Isabelle ihm vorenthielt. Er war schockiert, wie viele Mädchen sich, ob aus
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