Bonita Avenue (German Edition)
Betrügern wie dir muss man nicht zuhören!»
Buch? Zu seiner Bestürzung stellte sich heraus, dass ihr von ihrer Mitbewohnerin, einem Mädchen, das während ihres Gesprächs auf der Ecke von Isabelles Bett gesessen und Kamillentee getrunken hatte, ein Buch mit dem Titel Never Satisfied: How & Why Men Cheat in die Hand gedrückt worden war, die Hausbibel ihrer Frauen-WG, in der sie – «nur weil ich so vieles wiedererkennen konnte» – einen ganzen Abend lang mit einem Kugelschreiber Sätze unterstrichen hatte.
«Aber, Isa», sagte er einfältig, «dann sag mir doch wenigstens, was ich tun soll.»
Sie schwieg wie ein Klavier, das aus dem zehnten Stock hinunterfällt, aber anstatt mit einem Knall zu zerbersten, antwortete sie übertrieben freundlich: «Ich gebe dir einen Monat, deine Frau zu verlassen.»
Zieh einen Schlussstrich. Ein Mann in seiner Position, ein Mann, auf dessen Schultern ziemlich viel und mit etlichem Zeremoniell verbundene Verantwortung ruhte, ein Mann, der das Oberhaupt einer Familie war, die auf Nachfrage antworten würde, sie habe mittlerweile genug zu verkraften gehabt – von so einem Mann sollte man erwarten, dass er einen Schlussstrich zieht. Aber nein. Das Einzige, woran er denken konnte, war Isabelles Hand, das schlanke asiatische Händchen, das ihm in Almelo noch so einen Schrecken eingejagt hatte, Tag und Nacht spürte er diese Phantomhand, sie massierte sein Nervensystem mit sanften Bewegungen, wahnsinnig machte ihn das, wahnsinnig vor Verlangen. Manchmal war er bereit, für dieses Händchen zu sterben. Während des durchgedrehten Monats März 1999 versuchte er, sich in eine Zukunft einzuleben, die noch viel durchgedrehter war, aber weil er selbst durchdrehte, bemerkte er das kaum.
Oft, ausschließlich nachts, etwa eine Stunde nachdem er von seiner Hälfte des Ehebetts aus beobachtet hatte, wie Tineke sich ihrer Gewänder entledigte und sich keuchend neben ihm eingrub, sah er alles klar und deutlich: Er würde sie verlassen, die Frau, die ihn so gut verstand, die seinetwegen jahrelang ihre eigenen Interessen hintangesetzt hatte, die Frau, die er auf eine unerschütterliche, träge, zutiefst genügsame Art liebte, sie musste weg. Seit Isabelle ihm ihr Ultimatum gestellt hatte, schlief er schlecht ein; sich hin und her wälzend, verlor er sich in etwas, was als praktisches, vernünftiges Überlegen begonnen hatte, er dachte an Etagenwohnungen im Zentrum von Enschede, die er noch vor seiner Scheidung beziehen könnte, beamte sich in Isabelles alltägliches Leben, sah sich an ganz normalen Wochentagen morgens in ihrer Studentenküche sitzen, sein Anzug ebenso verknittert wie er selbst, und aus einem zu großen henkellosen Becher Kaffee trinken. Er stellte sich vor, wie sie an Sonntagen durch dichten Nebel nach Delft fuhren, um seine fünfzehn Jahre jüngere Schwiegermutter in spe zu besuchen, stellte sich vor, wie sie zur Eröffnung des akademischen Jahrs Arm in Arm in die Grote Kerk schritten, Isabelle mit einem handgefertigten Hut, der für Frauen in den Wechseljahren gedacht war, ein älterer Mann mit einer jungen Frau, einer Thailänderin zudem, ging das überhaupt? Komplizierte Szenarien, die er schließlich, nicht zu Ende gedacht, in einem langsamen, breiten Strudel aus immer sorgloseren Phantasien mitkreisen ließ: Reisen nach Barcelona und Paris würden sie machen, romantische Abendspaziergänge durch die städtischen Parkanlagen Europas, luxuriöse oder kleine Hotels, die er für sie bezahlen würde, und erst wenn er sich all das vorgestellt hatte, nach endlosen sittsamen Anläufen also, gab er sich ihrem Händchen hin. Verschwitzt und gekrümmt wie eine Riesengarnele lag er dann auf seiner Seite ihrer Auping-Matratze, möglichst weit am Rand, ein Panzer, der seine Erektion umgab. Er berührte sich kaum, aus Angst, Tineke könnte von dem mechanischen Schaukeln, das er vielleicht verursachte, aufwachen, stattdessen meditierte er über die hitzigen Handlungen, die Isabelle an ihm vornehmen würde, Handlungen, von denen er – wie ihm gleichzeitig schmerzlich bewusst war – auch Manschetten hatte. Wie sollte das werden? Auf etlichen Gebieten des Lebens war Siem Sigerius ziemlich bewandert, ein Ass sogar, ein Meister, das hatte er zur Genüge bewiesen – im Bett war er eine Flasche.
Er war nicht einmal ein Liebhaber. Die einzige Zeitspanne in seinem Leben, in der er Anspruch auf diese Bezeichnung hätte erheben können, waren die ein oder anderthalb Jahre, nachdem Tineke
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