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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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befand, war ein Plattfuß, der unter dem Turm neben dem Haupteingang des Campus hervorragte. Er schaute durch die große Scheibe auf den verlassen daliegenden Parkplatz. Wenn ich das Licht einschalte, dachte er, sitze ich hier wie ein Idiot im Schaufenster.
    In den Tagen danach: nichts. Nachts machte er kaum ein Auge zu; meistens zwischen drei und vier ging er mit einem Whisky und einem Päckchen Papiertaschentücher in sein Arbeitszimmer und holte sich auf seinem ledernen Lesesessel über dem Foto im Jahrbuch einen runter. Zweimal schrieb er auf seinem Laptop einen langen pathetischen Brief, den er dann doch nicht abschickte, nicht weil er dafür zu vernünftig war, sondern aus Angst. Isabelles entschiedener Ton hatte ihn beeindruckt. Als er nach dem Wochenende um elf aus einer vertagten Sitzung kam und an seinem Schreibtisch wider besseres Wissen in seine privaten E-Mails schaute, erschien wie ein brennender Dornbusch Isabelle Orthel auf dem Bildschirm. Er betastete sein linkes Ohr und öffnete die Nachricht.
    «Bist du auch so auf Turkey?»
     
    Wie mochte es ihr gehen? Wohnte sie noch auf dem Campus? Vielleicht war sie zum Zeitpunkt der Katastrophe ja in Roombeek gewesen. Aaron und er dringen tiefer ins Ankleidezimmer vor, einen Raum mit einer unlogischen L-Form. Um die Ecke herum, im Sockel des L, hat seine Frau schmale Bretter an der Wand befestigt, auf Maß geschnitten für Schuhe; an der hinteren Wand steht ein Kleiderschrank aus Nussbaumholz mit Stahlfächern, die linke Hälfte hat eine Kleiderstange, und dort hängen seine Togen und ein Frack. Es riecht nach getrocknetem Lavendel, den Tineke in Miniatursäckchen zwischen die Kleider gesteckt hat. Sigerius geht mit knackenden Gelenken in die Hocke und hebt wie ein Gabelstapler zwei Judoanzüge aus dem untersten Fach.
    «Von dem», sagt er zu Aaron, das Kinn auf dem oberen Anzug, «passt dir die Jacke wahrscheinlich nicht. Der untere ist mein alter Wettkampfanzug. Nimm einfach die Jacke davon.»
    Aaron nimmt den Stapel entgegen. «Gleich hier anprobieren?», fragt er.
    «Schläfst du einigermaßen?» Er bemerkt, dass Aaron die Frage unangenehm ist. «Du siehst geschafft aus.»
    «Geht so. Es ist so warm nachts.»
    Sigerius dreht sich um und angelt mit gestrecktem Arm einen alten schwarzen Gürtel vom obersten Brett, ein abgenutztes, elastisches Exemplar mit weißen Verschleißstellen dort, wo der Knoten sich jahrein, jahraus hineingedrückt hat. Aaron zieht seine Schuhe aus. Sigerius wartet, bis er seine neue Jeans hinuntergestreift hat und, auf einem Bein schwankend, aus dem Hosenbein steigt. «Hier», sagt er genau in dem Moment, «mein Glücksgürtel», und schleudert ihm den an die Schulter, ja schmeißt ihn regelrecht, eine alberne Gebärde. Aber Aaron merkt nichts oder tut zumindest so.
    «Danke», sagt er und starrt auf die schwarze Schlange zwischen seinen Füßen. «Dein Wettkampfgürtel?»
    «Auch. Mein alter Gürtel eben.»
    Er sieht Aaron dabei zu, wie er die schneeweiße Judohose über seine langen sonnengebräunten Beine streift, das Zugband um seine knochigen Hüften strammzieht und mit einem Knoten sichert. Sein Oberkörper ist ebenfalls lang und hat die Form eines Fragezeichens. Aaron macht so was nicht. Es ist unschön, dass er seine Paranoia an diesem Jungen auslässt. Ist es nicht das alte Lied?, fragt er sich plötzlich. Er und Sex? Ist seine Vermutung nicht eher ein auf andere projiziertes Schuldgefühl, so wie immer, wenn es um Sex geht? Kommt er auf seine idiotischen, paranoiden Ideen, weil der Sittenrichter in ihm meint, dass er für sein Herumstreunen im Internet bestraft werden muss? Isabelle würde sagen: ja.
     
    Nachdem sie den Faden wieder aufgenommen hatten, erzählte sie ihm während eines ihrer akkufressenden Telefongespräche, dass er es ihrer Mutter zu verdanken habe. Was habe ich deiner Mutter zu verdanken? Na ja, sagte sie munter, ihre Mutter habe sie in den letzten vier Tagen gleichsam verkümmern sehen, und da habe sie gesagt: Ihr könntet euch doch durchaus E-Mails schreiben. «Deine Mutter ?», rief er bestürzt aus, «weiß deine Mutter davon? «Ja, natürlich», sagte sie, «was dachtest du denn?» «Das ist nicht dein Ernst, so etwas erzählt man doch nicht seiner Mutter? Was wir miteinander haben, Isabelle, ist streng geheim.» Sie lachte laut auf. «Gewöhn dich schon mal daran, mein Lieber, in unserer Familie erzählen wir einander alles.»
    Er gewöhnte sich überhaupt nicht daran, ja mehr noch: Selbst jetzt,

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