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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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abgestützt und kam gerade bis zur Fensterscheibe, an
die sie vorsichtig mit meiner Brieftasche klopfte. Als sie merkte, dass ich sie
gesehen hatte, lachte sie, hielt die Brieftasche hoch und formulierte
irgendetwas mit den Lippen. Ich konnte sie nicht verstehen, aber ich glaube,
sie sagte ungefähr: »Die Tür ist ins Schloss gefallen. Könnten Sie mich bitte
reinlassen?« Sie sah nicht aus, als wäre sie mir böse. Sie war nur nass, es
musste wohl angefangen haben zu regnen. Ihre Miene war freundlich, aber ein
bisschen hinterlistig, wie der Wolf am Fenster der sieben Geißlein, als er ins
Haus eingelassen werden wollte.
    Die Tür war ins Schloss gefallen.
Ach, tatsächlich? Ich lachte und winkte der Schwester zu. Ich stellte das
Weinglas auf den Tisch und goss ein und sah dabei zu, wie die dunkelrote
Flüssigkeit langsam anstieg. Als ich das Glas schwenkte, blieb der Wein für
einen Moment auf der Innenseite haften, was einen vollen Geschmack versprach.
Ich roch das Bouquet. Es war kein Petrus - aber dennoch himmlisch. Noch einen
Augenblick der Vorfreude, dann nahm ich das Glas, hob es hoch, meine Augen
flogen zur Decke, und ich trank einen winzigen Schluck.
    Eine Zeit lang starrte ich weiter an
die Decke. Ich weiß auch nicht, was ich an diesen Decken fand, aber immer wenn
ich hinsah, konnte ich kaum mehr weggucken. Die Augäpfel in meinem Kopf
kullerten nach hinten und schienen dort zu verharren, unbeweglich. Während ich
so stand, setzte sich das Klopfen noch eine ganze Weile lang fort. Dann, nach
einer Pause, klingelte das Telefon. Das ging auch ziemlich lange so weiter,
aber danach trat Stille ein. Nach kurzer Zeit gelang es mir, den Blick von der
Küchendecke zu lösen, und sofort fiel mir auf, dass Schwester Susan nicht mehr
am Küchenfenster stand. Es regnete jetzt sehr stark draußen, und ich nahm an,
dass sie entnervt aufgegeben hatte und Colin holen gegangen war. Aber Colin
hatte zu tun. Seine anderen Patienten zahlten bestimmt sehr viel mehr als ich;
deren Termine würde er nicht absagen, nur im äußersten Notfall. Ich rechnete
mir aus, dass ich noch einige Stunden Zeit für mich hatte, bevor Colin mich
wieder in meiner Wohnung aufsuchte. Wenn es so weit war, würde ich ihn
hereinlassen und ihm in höflicher Form die Bedingungen auseinandersetzen,
unter denen sich unser Verhältnis in Zukunft gestalten würde.
    Noch etwas fiel mir auf: Obwohl ich
nur einen ersten winzigen Schluck aus meinem Glas getrunken hatte, war es halb
leer, und die Flasche war sogar mehr als halb leer. Ich konnte mich nicht daran
erinnern, den Rest des ersten Glases getrunken zu haben, geschweige denn ein
zweites. Beschämend. Ich goss mir noch etwas nach und warf die leere Flasche in
den Mülleimer. Wieder trank ich einen Schluck und bewegte die Flüssigkeit in
meiner Mundhöhle herum, um das komplexe Aroma des Weins voll auszukosten.
    Das Glas war leer. Ich schaute auf
die Uhr, dann sah ich an mir herab. Um ein Uhr mittags war ich immer noch in
Schlafanzug und Morgenmantel. Ich schwankte leicht und hielt mich an der Lehne
des Küchenstuhls fest, um mich zu stabilisieren. Nach ein paar Minuten ging
ich nach oben, duschte, rasierte mich und zog mir ein cremefarbenes Hemd, eine
dunkle Krawatte und einen meiner beiden guten Anzüge an und ging nach unten,
um mich um das Mittagessen zu kümmern.
    Im Kühlschrank war nur Wein, doch im
Vorratsregal fand ich eine Pastete in einem Glas und eine etwas ältere
Schachtel Ritz-Cracker. Viel mehr gab es nicht, aber das würde reichen. Ob ich
Schwester Susan wohl mit einer Einkaufsliste behelligen konnte, wenn sie
wiederkam? Dann ging ich nach unten in einen kleinen Raum im Untergeschoss, den
ich als Weinkeller benutzte. Es war natürlich nicht mein richtiger Weinkeller.
Der größte Teil meiner Sammlung war in der riesigen Gruft, dem Gewölbekeller
von Francis' altem Haus, Caerlyon, untergebracht und durch etliche Türriegel
und Alarmanlagen gesichert. Hier in London hatte ich nur einige wenige
Flaschen, etwa tausend Stück, für den direkten Verzehr gedacht, höchstens für
ein Jahr gelagert und ständig aufgestockt, wenn ich von meinen häufigen
andächtigen Besuchen in Caerlyon heimkehrte.
    Ich setzte mich vor die Weinregale
und fragte mich, was ich zu der Pastete trinken könnte. Natürlich war mein
erster Gedanke ein Gewürztraminer. Aber da ich sonst meistens Bordeaux zum Mittagessen
trank, wäre es vielleicht klüger, mein System nicht allzu radikal umzukrempeln,
schon aus

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