Bordeuax
ich kann.
»Du warst ganz schön gemein zu der
armen Schwester Susan«, schimpfte Colin, während er seinen Tee schlürfte.
Schwester Susan stand an der Spüle und wusch die Teller ab, die ich für das
Mittagessen gebraucht hatte. Sie hätte sie auch in die Spülmaschine räumen
können, aber sie erklärte, sie wolle keinen Strom für das bisschen Geschirr
vergeuden.
»Ach, machen Sie sich um mich keine
Gedanken, Schätzchen. Es gibt Schlimmeres«, sagte Schwester Susan, drehte sich
um und grinste mich über die Schulter an. Ich saß am Tisch und trank den Rest
meiner Nachmittagsflasche.
»Ich habe dir gesagt, dass du das
Zeug nicht trinken sollst«, ermahnte mich Colin, »aber du kannst wohl nichts
dafür.«
»Colin«, fing ich an,
»selbstverständlich kann ich was dafür. Es ist meine freie Entscheidung. Ich
trinke Wein aus freien Stücken. Es ist mein Hobby, wie du weißt.«
»Ja, ja«, sagte Colin. »Du hast
natürlich eine Reihe absolut einleuchtender Gründe für das, was du tust.
Abhängige finden immer einen Grund.«
Wir fielen in Schweigen. Colin sah
auf die Uhr. Er maß die Minuten seines Tages so sorgfältig ab wie ich die
Gläser Wein.
»Übrigens, was die Tests angeht«,
sagte er. Ich machte mich auf die übliche Predigt gefasst. »Das meiste ist ja
nicht neu«, fuhr Colin fort. »Du hast alle Magen-Darm-Probleme, mit denen man
in so einem Fall rechnen muss. Du hast Sodbrennen, wobei Magensäure in die
Speiseröhre zurückfließt, was in ein paar Jahren zu Krebs führen kann, wenn
sich bis dahin nicht schon an anderer Stelle ein Geschwür gebildet hat. Dein
Cholesterinspiegel ist extrem hoch, bedingt durch freie Radikale. Einfach
ausgedrückt: Deine Leber ist dabei, sich aufzulösen, dabei steigt dein Cholesterinspiegel,
was die Gefahr eines Hirnschlags oder eines Herzinfarkts erhöht. Wie es in
deinem Darm aussieht, darüber will ich lieber gar nicht erst spekulieren.«
»Wahrscheinlich grauenvoll«, gab ich
zu.
»Nimmst du die Tabletten, die ich
dir gegen diese Beschwerden verschrieben habe?«, fragte Colin.
»Nein. Der Wein schmeckt danach so
komisch. Ich habe sie weggeworfen.«
»Außerdem hast du viele andere
alkoholbedingte Symptome: Schwitzen, Gewichtsverlust und geistige Verwirrung.
Jetzt schwitzt du auch, sogar ziemlich heftig.«
Ich wollte aufstehen und das Fenster
öffnen, aber es war mir zu anstrengend. »Es ist sehr warm in der Küche«, sagte
ich nur.
»Warum hast du dir einen Anzug
angezogen?«, fragte Colin. »Musst du zu einer Besprechung?«
»Nein. Ich wollte nur meinen guten
Willen demonstrieren.«
Colin trommelte mit den Fingern auf
die Tischplatte, dann rückte er mit seinem Stuhl näher heran und sagte: »Du
siehst mir nicht in die Augen.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich kann
nichts dafür. Seit ich heute Morgen aufgewacht bin, schweifen meine Augen
umher.«
Colin holte eine kleine Taschenlampe
aus seiner Ledertasche, die er immer bei sich trug, knipste sie an und
leuchtete mir damit in beide Augen. Er starrte hinein. Ich zuckte zurück. Dann
setzte er sich wieder hin und sagte: »Weißt du, wie Alkohol wirkt?«
Jetzt ging das wieder los. »Hör auf,
ständig von Alkohol zu reden«, sagte ich. »Das hat mit Chemie nichts zu tun.
Wir reden hier über Wein.«
»Ich rede aber über Chemie. Genauer gesagt, ich will dir
die Chemie des Gehirns erklären. - Nein. Hör mir wenigstens zu, nur ein paar
Minuten, solange du noch in der Lage bist zu verstehen, was ich dir sage.
Dieses gewohnheitsmäßige Trinken, dem du dich seit einiger Zeit so intensiv
hingibst, unterscheidet sich nicht im Geringsten von der Abhängigkeit eines
Heroinsüchtigen. In beiden Fällen nimmt das Gehirn durch die exzessive Einnahme
einer zerstörerischen Substanz zunehmend Schaden, wahrscheinlich irreversibel.
Die Fähigkeit, wichtige Neurotransmitter zu produzieren, zum Beispiel Dopamin
und Serotonin, wird in Mitleidenschaft gezogen. Dopamin ist der
Neurotransmitter, der für Freude oder Schmerzempfinden verantwortlich ist. In
deinem Fall nimmt die Toleranz gegenüber Schmerz rapide zu. Nie beklagst du
dich über dein körperliches Befinden, dabei müsste es dir hundeelend gehen, und
es wird mit jedem Tag schlimmer. Jeder normale Mensch würde sich ins
Krankenhaus einweisen lassen, wenn er sich so fühlen würde, wie du dich fühlen
musst.«
»Vielen Dank auch«, sagte ich.
»Werd nicht frech«, ermahnte mich
Colin. Er hielt einen Finger hoch, als wollte er ihn mir auf den Mund legen, um
mir
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