Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
menschlicher Urin viele Nährstoffe enthalte und auch noch für ein strahlend weißes Gebiss sorge, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er noch irgendetwas zu sagen hatte, das überzeugender wäre als ein tiefer Schlaf in einem weichen Bett. Aber diesmal war es nicht Ted, der Geschichten erzählte. Es war Caballo.
Barfuß-Ted zog mich in Mamá Titas Garten zurück, wo Caballo gerade Scott, Billy und noch ein paar andere Zuhörer mit seinem Bericht fesselte. »Seid ihr schon einmal in einer Notaufnahme aufgewacht und habt euch dabei gefragt, ob ihr überhaupt aufwachen wolltet?«, sagte Caballo. Mit dieser Einstiegsfrage begann er die Geschichte, auf die ich schon seit fast zwei Jahren wartete. Schnell begriff ich, weshalb er sich dafür gerade diesen Augenblick ausgesucht hatte. Bei Tagesanbruch würden wir auseinandergehen und nach Hause fahren, jeder an seinen Ort. Caballo wollte, dass wir in Erinnerung behielten, was uns verband, deshalb erzählte er jetzt zum ersten Mal seine Lebensgeschichte.
Er wurde geboren als Michael Randall Hickman, Sohn eines Hauptfeldwebels der US-Marineinfanterie, durch dessen Stationierungen die Familie an der Westküste mehrmals umzog. Der junge Mike war ein magerer Einzelgänger, der sich an wechselnden Schulen seiner Haut wehren musste, deshalb war ihm nach jedem Umzug am wichtigsten, den nächstgelegenen Polizeisportklub ausfindig zu machen, um dort Boxunterricht zu nehmen.
Muskulöse Burschen grinsten sich eins und schlugen die behandschuhten Fäuste aneinander, wenn sie den komischen Kerl mit dem seidigen Hippiehaar und dem schlaksigen Gang in den Ring steigen sahen, aber das Lachen verging ihnen schnell, wenn diese lange linke Gerade ihnen Jabs auf die Augen schlug. Mike Hickman war ein sensibler Junge, der es hasste, anderen Leuten wehzutun, was ihn aber nicht daran hinderte, es darin zu einiger Meisterschaft zu bringen. »Am liebsten waren mir die großen, muskelbepackten Burschen, weil die’s immer wieder wissen wollten«, erinnerte er sich. »Aber ich hab geweint, als ich das erste Mal einen Gegner bewusstlos geschlagen hatte. Danach habe ich lange niemanden mehr k. o. geschlagen.«
Nach der Highschool schrieb er sich an der Humboldt State University im Norden Kaliforniens für fernöstliche Religionen und indianische Geschichte ein. Um sein Studium zu finanzieren, trat er in verrauchten Kneipensälen als Kampfsportler auf und nannte sich Gypsy Cowboy. Der Cowboy hatte schon bald mehr als genug zu tun, weil er keine Angst hatte, in Sälen anzutreten, in denen sich nur selten ein weißes Gesicht zeigte und schon gar kein Vegetarier, der von universeller Harmonie und Weizengrassaft daherredete. Mexikanische Kleinpromoter nahmen ihn gern beiseite und flüsterten ihm ihre Angebote ins Ohr.
»Oye, compay«, sagten sie. »Hör zu, mein Freund. Wir setzen ein chisma, ein kleines Gerücht in die Welt, dass du ein Spitzenamateur von der Ostküste bist. Den Gringos wird das gut gefallen, Mann. Jeder gabacho im Haus wird seine Kinder auf dich setzen.«
Der Gypsy Cowboy zuckte nur mit den Schultern. »Ist mir recht.«
»Tänzle nur ein bisschen herum, sodass du nicht vor der vierten Runde k. o. gehst«, instruierten sie ihn – oder in der dritten oder siebten, für welche Runde auch immer der Wettbetrug vereinbart war. Der Cowboy konnte sich durch Ausweichmanöver und Klammern gegen riesige schwarze Schwergewichtler behaupten, bis die Zeit gekommen war, auf die Bretter zu gehen, aber gegen die flinken Latino-Mittelgewichtler musste er um sein Leben kämpfen. »Manchmal mussten sie mich als blutiges Bündel da raustragen«, sagte er. Aber er blieb dabei, auch nachdem er die Universität verlassen hatte. »Ich bin einfach herumgezogen und habe gekämpft. Ich habe K. o.s vorgetäuscht oder mitgenommen, verloren, andererseits aber manche Kämpfe wirklich gewonnen, habe eine gute Show abgeliefert und gelernt, wie man kämpft, ohne sich zu verletzen.«
Nach ein paar ziellosen Jahren in der Unterwelt des Kampfsports kratzte der Cowboy seine Ersparnisse zusammen und flog nach Maui. Dort angekommen, ließ er die Touristenorte hinter sich, wandte sich nach Osten und ging auf die feuchte, dunkle Seite der Insel und zu den verborgenen Schreinen von Hana. Er suchte nach einem Lebensziel. Stattdessen fand er Smitty, einen Einsiedler, der in einer verborgenen Höhle lebte. Smitty zeigte Mike eine Höhle, die er selbst beziehen konnte, und führte ihn dann zu den versteckten heiligen
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