Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
rehabilitierten sich glanzvoll. Trotz Jenns blutender Beine und Billys narkoleptischem Ansatz bei der Rennvorbereitung hatten sie nur vier Tarahumara den Vortritt lassen müssen und außerdem noch Luis und Eric besiegt, zwei erfahrene Ultralangstreckenläufer.
Manuel Luna hatte das Rennen nach der Hälfte der Strecke aufgegeben. Er hatte sein Bestes versucht, um – auch für Caballo – durchzukommen, aber der Schmerz über den Tod seines Sohnes hatte ihn zu sehr belastet. Obwohl sein Herz nicht an dem Rennen hing, setzte er sich voll und ganz für einen anderen Läufer ein. Manuel patrouillierte die Straße auf und ab und hielt nach Barfuß-Ted Ausschau. Schon bald erhielt er Gesellschaft durch Arnulfo … und Scott … und Jenn und Billy. Es geschah etwas Merkwürdiges: Je langsamer die Läufer wurden, desto wilder wurden die Anfeuerungsrufe. Alle Läufer, die es über die Ziellinie schafften – Luis und Porfilio, Eric und Barfuß-Ted -, machten sofort kehrt und feuerten die Läufer an, die das letzte Stück noch vor sich hatten.
Weit oben am Berg sah ich die roten und grünen Lichter funkeln, die über dem Weg nach Urique aufgehängt waren. Die Sonne war untergegangen, und ich lief jetzt durch die silbergraue Abenddämmerung der tief eingeschnittenen Canyons. Es war ein mondähnliches Leuchten, das sich so lange nicht veränderte, bis man das Gefühl bekam, alles, was einen umgab, würde stillstehen, nur man selbst nicht. Und dann löste sich aus diesen milchigen Schatten der einsame Wanderer der Sierras.
»Ein bisschen Gesellschaft?«, fragte Caballo.
»Liebend gern.«
Gemeinsam polterten wir über die schwankende Brücke, und durch die kühle Luft, die vom Fluss aufstieg, war mir seltsam schwerelos zumute. Auf dem letzten Stück, das in den Ort führte, setzten die Trompeten ein. Seite an Seite, Schritt für Schritt, liefen Caballo und ich nach Urique hinein.
Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich eine Ziellinie überquerte. Ich sah nur einen Schemen mit Zopf, als Jenn aus der Menge hervorschoss und mich ins Wanken brachte. Eric fing mich auf, bevor ich zu Boden ging, und legte eine kühle Wasserflasche auf mein Genick. Arnulfo und Scott – beide hatten schon blutunterlaufene Augen – drückten mir je ein Bier in die Hand.
»Du warst umwerfend«, sagte Scott.
»Ja«, erwiderte ich. »Umwerfend langsam.« Ich hatte über zwölf Stunden gebraucht, und das bedeutete, dass Scott und Arnulfo die ganze Strecke ein zweites Mal hätten laufen können und immer noch vor mir im Ziel gewesen wären.
»Das sage ich ja«, beharrte Scott. »Ich kenne das Gefühl, Mann. Ich habe es oft erlebt. Dafür braucht man mehr Mumm als für einen schnellen Lauf.«
Ich hinkte zu Caballo hinüber, der sich unter einem Baum ausgestreckt hatte, während um ihn herum die Party tobte. Wenig später würde er aufstehen und in seinem seltsamen Spanisch eine wunderbare Rede halten. Er würde Bob Francis das Wort geben, der gerade rechtzeitig in den Ort zurückgekehrt war, um Scott einen zeremoniellen Tarahumara-Gürtel und Arnulfo ein Taschenmesser aus seinem eigenen Besitz zu überreichen. Caballo verteilte Geldpreise, und ihm fehlten die Worte, als die Party Kids, die selbst kaum genug Geld für die Busfahrt zurück nach El Paso hatten, ihre Prämie sofort an die Tarahumara-Läufer weitergaben, die nach ihnen ins Ziel gekommen waren. Und Caballo lachte schallend, als Herbolisto und Luis einen Robotertanz vorführten.
Aber all das kam erst später. Zunächst einmal war Caballo damit zufrieden, allein unter einem Baum zu sitzen, still vor sich hin zu lächeln, an einem Bier zu nippen und dabei zu beobachten, wie sein lange gehegter Traum vor seinen Augen Wirklichkeit wurde.
32
Sein Denken beschäftigte sich so lange mit den unlösbaren
Problemen der zeitgenössischen Gesellschaft, und er kämpft
immer noch mit seiner Gutmütigkeit und seiner grenzenlosen
Energie. Seine Bemühungen waren nicht vergeblich,
aber er wird vielleicht nicht lange genug leben, um zu sehen,
wie sie Früchte tragen.
Theo van Gogh
»Das musst du dir aber noch anhören«, sagte Barfuß-Ted und fasstemich am Arm.
Verdammt. Er erwischte mich, als ich versuchte, mich von diesem aberwitzigen Straßenfest davonzustehlen, um ins Hotel zurückzuhumpeln und mich dort nur noch aufs Bett fallen zu lassen. Ich hatte mir bereits den vollständigen Kommentar angehört, den Barfuß-Ted nach dem Rennen abgegeben hatte, einschließlich seiner Erkenntnis, dass
Weitere Kostenlose Bücher