Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
gewischt. Kein einziger brauchbarer Abdruck zu finden.«
»Aber warum? Warum nur?« Deleu kratzte sich am Kopf. Er spürte die Müdigkeit. Die letzten Tage hattenihn an seine Grenzen gebracht. Die Vorbereitungen, die Hin- und Herfahrerei ins Krankenhaus. Barbara sollte übermorgen entlassen werden, und allein schon bei dem Gedanken brach ihm der kalte Schweiß aus. In ihrem Herrenhaus in Mechelen sah es aus wie auf der Müllkippe. Rob … Das war die Lösung. Er musste seinen Sohn Rob anrufen.
»Die Stadtwerke haben der Wohnung drei Tage vor dem Fund der Leiche den Strom abgestellt«, riss ihn Bosmans aus seinen Gedanken.
»Hatte die Frau finanzielle Probleme?«
»Ist noch nicht geklärt«, sagte Bosmans.
»Angehörige?«
»Keine.«
»Arbeit?«
»Von Beruf Tochter, die Eltern haben ihr ein Vermögen hinterlassen, sind bereits tot, keine Geschwister.«
»Irgendwelche Freunde?«
»Sie galt als Einzelgängerin.«
»Und das Motiv. Gab es ein Motiv?«, fragte Deleu gespannt.
»Keine Ahnung. Das Ganze ist eine echte Sauerei.«
»Ein Serienmörder.« Es klang wie eine Feststellung.
»Wann kann ich mir die Wohnung ansehen?«, fügte Deleu seufzend hinzu und taxierte dabei seinen Chef wie ein Steuerfahnder, dem ein Schinken und eine Flasche Whiskey angeboten werden.
»Morgen.«
5
Die Miene des Gerichtsmediziners Van Grieken stand bereits auf Schlechtwetter, als die siamesischen Zwillinge Bosmans und Deleu hereinstürmten. Ihre Ankunft verbesserte seine Laune keineswegs. Van Grieken runzelte die Stirn und lud die beiden mürrisch ein, Platz zu nehmen.
»Ist es so schlimm?«, fragte Bosmans gespielt besorgt. Der Gerichtsmediziner holte tief Luft, fixierte die Streifentapete und verkündete: »Die Leiche ist tiefgefroren gewesen, Mijnheer Untersuchungsrichter.«
Bosmans und Deleu schauten sich wie vom Donner gerührt an.
»Tiefgefroren …«, stotterte Jos Bosmans als Erster. Er wirkte mit einem Schlag um zehn Jahre älter.
»Tiefgefroren, Mijnheer Bosmans.«
»Wie lange ist sie tot?«, fragte Deleu.
»Das lässt sich unmöglich feststellen. Einen Tag, eine Woche, einen Monat? Keine Ahnung. Zwischen einem Tag und einem Monat, schätze ich. Übrigens standnicht in dem Bericht, dass ihr auf dem rechten Schulterblatt ein Stück Haut herausgeschnitten wurde. Wussten Sie davon?«
»Ein Stück Haut herausgeschnitten?«, wiederholte Bosmans.
»Ja, etwa drei Quadratzentimeter. Vermutlich eine Tätowierung.«
Bosmans rieb sich die Augen und kratzte unbeholfen über seinen Dreitagebart.
»Handelt es sich denn um Nadine Versluys?«, hakte Deleu nach.
»Das kann ich Ihnen nicht mit Sicherheit sagen«, antwortete der Arzt entschieden, »wenn wir uns mit diesem alten Passfoto begnügen müssen … Kann ich keine aktuelleren Fotos bekommen? Informationen vom Hausarzt, dem Zahnarzt, etwas in der Richtung? Fingerabdrücke, Speichel, irgendwas?«
»Wir vernehmen augenblicklich Freunde und Bekannte. Ich lasse Ihnen sämtliche Informationen zukommen, deren wir habhaft werden können. Den Todeszeitpunkt können Sie also überhaupt nicht einschätzen?«
»Im Moment nicht, meine Herren.«
»Nicht einmal ungefähr?«, bettelte Bosmans. »Ihrem Gefühl nach?«
»Meinem Gefühl nach? Auf Spekulationen lasse ich mich grundsätzlich nicht ein.« Van Grieken knetete mit Daumen und Zeigefinger seine Nasenwurzel und zog die Oberlippe hoch, bis sie die Na senspitze berührte.
Nach ein paar Augenblicken, die Deleu wie eine Ewigkeit vorkamen, fällte er das nüchterne Urteil: »Ein Steak sieht nach einem Jahr in der Tiefkühltruhe auch immer noch appetitlich aus, meine Herren!«
Unwillkürlich entfuhr Jos Bosmans ein Fluch. Die Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Falls entschwand in weite Ferne, ebenso die Hoffnung auf einen Mord im Affekt. »Kein Wort über den Fall zu den Medien«, ordnete er an.
Sowohl der Gerichtsmediziner als auch Dirk Deleu schraken aus ihren Gedanken auf.
»Tut mir leid«, sagte Bosmans, der Anstalten machte aufzustehen.
»Was war die Todesursache?«, fragte Deleu.
»Schädelfraktur«, antwortete Van Grieken trocken.
»Und die durchschnittene Kehle?«, wollte Bosmans wissen.
»Die Wunde wurde ihr später zugefügt. Wie viel später, kann ich unmöglich feststellen. Es war ein echtes Kunststück, herauszufinden, welche Verletzung zum Tode geführt hat. Sie war tiefgefroren, vergessen Sie das nicht.«
Van Grieken zog langsam eine Schreibtischschublade auf und entnahm ihr eine blaugrüne
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