Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
Anstalten machte aufzustehen und Vangeffelens Versuch, ihn hinauszuwerfen, ganz einfach ignorierte. Er schlug die Mappe auf. »Möchten Sie mich lieber in mein Büro begleiten, oder sollen wir die Sache hier weiterbesprechen?«
»Ich bin ein viel beschäftigter Mann!«, sträubte sich der Filialleiter.
»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Mijnheer Vangeffelen, ich brauche diese Informationen unbedingt, und zwar jetzt! JETZT SOFORT! Verstehen Sie? Es stehen Menschenleben auf dem Spiel!«
Deleu stieß dem Filialleiter mit den Fingerknöcheln kurz, aber kräftig vor die Brust, so dass dieser wie ein nasser Wischlappen auf seinen Bürostuhl fiel.
Vangeffelen holte tief Luft und seufzte: »Gut. Geben Sie mir fünf Minuten. Ich sage meine Termine ab.« Er stand auf, rückte die Krawatte zurecht, als bereite er sich auf eine Videokonferenz vor, und schlüpfte mit einem Timer unter dem Arm in den angrenzenden Raum.
Als sich die Tür geräuschlos hinter ihm geschlossen hatte, begann Deleu rasch, die Mappe durchzublättern. Einzelne Dokumente legte er der Größe nach geordnet auf Vangeffelens glänzenden Schreibtisch. Dann suchte er den fast einen Meter langen Ausdruck mitder Umsatzübersicht heraus und studierte ihn eingehend.
Die Daten und die Beträge waren eindeutig, die Codeziffern daneben jedoch völlig unverständlich. Für einen Laien ein absolutes Rätsel. Genauso gut hätte er im Kaffeesatz lesen können.
Deleu schob die Umsatzübersicht beiseite und ging die übrigen Dokumente durch, fand aber nichts, was ihm half, den dreistelligen Code zu dechiffrieren. Seufzend stützte er den Kopf in beide Hände und konzentrierte sich auf die Abbuchungen.
Im letzten Monat waren mehrmals sehr hohe Beträge vom Girokonto abgebucht worden: einmal 850 Euro und am 22. Dezember 1998 jeweils einmal 1500 und einmal 25 000 Euro.
Deleu schob das buchhalterische Rätsel beiseite und griff nach der Unterschriftenkarte aus Karton. An dieser waren die Antragsformulare für die Eröffnung eines Schließfachs festgetackert.
Während Deleu noch die Unterschrift betrachtete, kehrte Vangeffelen zurück.
Er stellte seinen Bürostuhl ein wenig höher ein, hob die Hände und sagte: »Schießen Sie los, Inspecteur!«
»Das Schließfach, Mijnheer Vangeffelen. Nadine Versluys hatte ein Schließfach bei Ihnen?«
»In der Tat. Außerdem hat sie hin und wieder bei uns Geld angelegt. Juffrouw Versluys war«, er zog die rechte Augenbraue hoch und warf einen Blick auf die Umsatzübersicht, »ziemlich vermögend.«
»Wissen Sie, was sich in dem Schließfach befindet?«
»Befand!«, erwiderte Vangeffelen mit überheblichem Grinsen. »Befand, Inspecteur. Wir haben es aufbohren lassen, und es war leer.« Er betrachtete schweigend die sorgfältig manikürten Fingernägel.
»Wann, wenn ich fragen darf, haben Sie das Schließfach aufbohren lassen?«, fragte Deleu gezwungen höflich.
»Vor vierzehn Tagen.«
»Aus welchem Grund?«
»Weil sämtliche Konten überzogen waren«, antwortete Vangeffelen mit einem Hauch von Spott in der Stimme.
»Das ist für Sie Grund genug, solch drastische Maßnahmen zu ergreifen?«, fragte Deleu ungläubig. »Da haben Sie aber nicht lange gefackelt, muss ich sagen.«
»Tja, Wirtschaftlichkeit steht für uns eben immer an erster Stelle. Das ist nun mal die beste Garantie für den Erfolg eines Unternehmens.«
Der Ermittler staunte über diese Unverfrorenheit.
»Ganz im Interesse unserer Kunden natürlich«, ergänzte Vangeffelen selbstgefällig. »Natürlich sind wir streng nach Vorschrift vorgegangen. Wir haben Juffrouw Versluys drei Mal ein Einschreiben geschickt, jedoch keine Antwort erhalten. Außerdem …«
»Waren Sie dabei, als das Schließfach geöffnet wurde«, unterbrach ihn Deleu.
Vangeffelen redete jedoch einfach weiter: »… geschah alles im Beisein eines Gerichtsvollziehers sowie einesBeauftragten des Finanzministeriums, wie es sich gehört. Ich kann Ihnen Kopien der offiziellen Dokumente zukommen lassen, wenn Sie es wünschen.«
Seine Augen funkelten boshaft. »Ist sonst noch etwas, Inspecteur?«, fragte er nonchalant.
»Fingerabdrücke!«, murmelte Deleu, mehr zu sich selbst als zum Filialleiter. »Wann schließt die Bank?«
»Heute um achtzehn Uhr dreißig.«
»Von jetzt an darf niemand mehr in den Raum mit den Schließfächern«, ordnete er barsch an. »Darf ich mal kurz telefonieren?«
Er wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern wählte die Nummer von Jos Bosmans und zog eine
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