Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
Gemeinderat entwickelt. Die Grünen hatten dafür plädiert, das Bauwerk vollständig abzureißen und durch ein kleineres, modernes Gebäude zu ersetzen. Aber die Katholiken wollten die alte Kirche restaurieren lassen, da große Teile des Gotteshauses noch intakt waren. Während der ganzen Zeit hatten die braven Kirchgänger ihren Gottesdienst in der Turnhalle der Grundschule abhalten müssen – und inzwischen wurde die Sint-Jozef-Kirche mit keinem Wort mehr erwähnt.
Bosmans stürmte zu seinem Wagen und stieg hastig ein. »Noch intakt! Verdammt noch mal. Bosmans, du Idiot!«
Während der Mercedes, dessen Dieselmotor wie üblich keine Gelegenheit zum Vorglühen erhielt, losraste, drückte sich der Untersuchungsrichter bereits das Mobiltelefon ans Ohr.
Walter Vereecken, der einzige Beamte, der in der verlassenen Polizeiwache die Stellung hielt, lauschte angespannt Bosmans’ Bericht und stieß einen unterdrückten Schrei aus. Damit jagte er seinem hereinkommenden Kollegen Pierre einen solchen Schrecken ein, dass der seinen heißen Kaffee verschüttete.
*
Dirk Deleu kauerte geduckt im Gebüsch und warf einen Blick auf die alte Holzpforte, die Zugang zu der ummauerten Pfarrei bot. Nachdem der Kripobeamte sich mühsam einen Weg durch den mit Unkraut überwucherten Park gebahnt hatte, stellte er überrascht fest, dass die Pforte, bis auf die abblätternde Farbe, intakt schien. Schließlich war der Brand, der die Kirche zwei Jahre zuvor zerstört hatte, in der angrenzenden Pfarrei ausgebrochen. Deleu schauderte und schlug den Kragen seines Sakkos hoch, als ihm ein eisiger Windstoß entgegenblies.
Wahrscheinlich wehte der Wind damals aus derselben Richtung.
Mit seiner Vermutung lag Deleu richtig: Die Flammen hatten damals tatsächlich vom Pfarrhaus auf die Kirche übergegriffen, wo sich das Feuer gierig durch das Gebälk des linken Kirchenschiffs gefressen hatte, bis schließlich der Kirchturm eingestürzt war. Und nur dank dieses Einsturzes, der das Flammenmeer größtenteils gelöscht hatte, war es der Feuerwehr überhaupt gelungen, die andere Hälfte des Kirchengebäudes zu retten.
Deleu erinnerte sich, dass die Pfarrei an das Gotteshaus angrenzte, und sah vor seinem inneren Auge wieder, wie Hermans ihn durch die Kirche zum Pfarrhaus begleitet hatte. Der breite Rücken des Mannes. Sein würdevoller, selbstbewusster Gang. Der moderne Rollkragenpullover. Der breite Nacken.
Ein Knacken riss Deleu aus seinen Erinnerungen und ließ ihn blitzschnell herumwirbeln. Angespannt starrte er in die Dunkelheit. Seine Gedanken wanderten zu seinem Kollegen, Walter Vereecken. Dieser hatte hier stundenlang auf der Lauer gelegen. Vielleicht sogar genau an dieser Stelle. Wahrscheinlich ganz steif vor Kälte, genau wie er jetzt. Bis Hermans sich von hinten angeschlichen und Walter eine Weinflasche auf den Schädel geschlagen hatte.
Deleu drehte sich um und arbeitete sich durch die dichten Brombeersträucher vor, die ihm die Hände und das Gesicht zerkratzten – was ihn jedoch nicht kümmerte. Mit gezückter Waffe drückte er die Schulter gegen die schwere Pforte. Sie war verschlossen. Deleu schaute zu der mit alten Dachpfannen bedeckten Mauerkrone, die deutlich höher war als erwartet. Er schob die Pistole in den Hosenbund und stellte einen Fuß auf die Bronzetürklinke. Doch erst als er dabei zufällig nach unten blickte, sah er ihn: Der Pfeil war in den matschigen Erdboden geritzt. Darunter stand das Wort »Willkommen«.
Deleu stieß sich ab und streckte eine Hand nach der nächsten Dachpfanne aus. Als seine Finger endlich Halt fanden, löste sich die Dachpfanne, so dass der Kripobeamte seine Finger um die darunterliegenden Mauersteine krümmen musste, sich mit dem Fußballen abdrückte und sich dann über die Mauer hievte. Mit einem leisen Aufschlag landete er auf der anderen Seite im dichten Moos.
Als Erstes bemerkte er einen schwachen Lichtschein. Sofort zückte er die Waffe.
Woher kommt das Licht? Wohl kaum aus der Steckdose. Hier gibt’s doch keinen Strom mehr … Oder hat der Bauunternehmer ein Notstromaggregat aufstellen lassen?
Deleu huschte durch den Garten zum Pfarrhaus, das vollständig zerstört war. Vor dem gewaltigen Trümmerhaufen blieb er stehen und suchte auf dem Boden nach weiteren Hinweisen. Doch weit und breit war kein Pfeil zu sehen. Das leise Klicken, das das Entsichern der Waffe verursachte, kam ihm vor wie ein lauter Pistolenknall.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als über den Trümmerhaufen
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