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Freitagabend: Krimitime. Im ZDF ermittelt aus München der » Alte« alias Kriminalhauptkommissar Voss. Eine Geiselnahme. Natürlich tritt da, namentlich erwähnt, das berühmte bayerische Spezialeinsatzkommando auf. Bis zu den Zähnen bewaffnet und komplett vermummt mit Sturmhaube springen die Männer aus dem Wagen, stürmen auf das Gebäude zu. Sehr wirkungsvoll, aber eher laut als leise. » Stopp«, sagt der Kommissar und übernimmt die Verhandlungsführung. Mehr Dichtung als Wahrheit, denn einen Zugriff mit einem Kriminalbeamten an vorderster Front gibt es wirklich nur im Kino und im Fernsehen.
Auch die vermummten Supermänner, die da verwegen und geheimnisvoll wie Rambos durchs Bild rennen, entsprechen nicht unbedingt der Realität. Zumindest nicht generell. Tatsache ist vielmehr, dass die meisten Einsätze in ziviler Kleidung durchgeführt werden. Kampfausrüstung und Waffen nimmt man in einer Einsatztasche mit. Schließlich soll sich der Täter ja möglichst lange in Sicherheit wiegen.
Eine gewisse Ausnahme stellen Geiselnahmen dar, bei denen man immer mit einer gewaltsamen Lösung rechnen muss. Trotzdem vermeidet man es auch hier, dass der Geiselnehmer die schwer bewaffneten Einheiten sieht. Das wäre aus psychologischer Sicht einfach unklug und kontraproduktiv. Allerdings gibt es Gelegenheiten, wo sich eine Vermummung aus Gründen des Selbstschutzes empfiehlt. Etwa bei der Überstellung eines Mafioso oder auch bei gewalttätigen Demonstrationen. Ich kann mich noch an die unruhigen Siebzigerjahre erinnern, als sich Demonstranten und Polizei regelrechte Straßenschlachten lieferten. Damals, ich gebe es zu, wollten wir nicht gerne abgelichtet werden. Schließlich waren wir » Scheißbullen« und Vertreter eines politischen Systems, das bekämpft wurde.
In jener » heißen« Zeit, 1977, habe ich mich als junger Polizist, knapp 30-jährig, dem neu gegründeten Spezialeinsatzkommando Südbayern angeschlossen. Wie kommt man dazu? War es Abenteuerlust? Die Suche nach neuen Herausforderungen? Das Image einer Elitetruppe? Der Stolz, dazugehören zu dürfen? Von allem etwas, denke ich. Eines allerdings spielte keine Rolle: die Lust an purer Action, bei mir nicht und auch nicht bei den meisten der Kollegen. Wer anders tickte, schied bereits in der Vorrunde aus.
» Mit James-Bond-Typen können wir nichts anfangen«, hat mein erster Chef beim SEK einmal gesagt. Natürlich braucht es Mut und auch Wagemut. Übermäßige Angst würde lähmen, aber ein bisschen darf schon sein, damit man sich des Risikos bewusst bleibt. Und den Respekt und das Verantwortungsgefühl nicht verliert. Besonnene Leute also sind gefragt, die beim Einsatz einen kühlen Kopf behalten und um Gottes willen keine Aggressionen abreagieren. Die eigenständig aus der Situation heraus entscheiden können und doch diszipliniert, teamfähig und stressresistent sind. Die körperlichen Voraussetzungen und das richtige Alter, zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig etwa, verstehen sich von selbst. Zudem einige Jahre Polizeidienst.
Angesichts so vieler scheinbar widersprüchlicher Voraussetzungen kann die hohe Durchfallquote nicht verwundern. Viele träumen von einer Karriere beim SEK , aber nur etwa ein Viertel übersteht die extrem schwierige Prüfung. Der Rest entspricht nicht dem Anforderungsprofil. Ich weiß es von meiner eigenen Bewerbung und bekam es später von einer anderen Warte aus mit. Als langjähriger Kommandoangehöriger in Führungsfunktionen hatte ich nämlich Einblick in das Auswahlverfahren und habe zeitweilig Belastungstests erarbeitet.
Doch auch der Bescheid Prüfung bestanden, herzlich willkommen beim SEK war noch lange kein Garant für e in en Job auf Dauer. Viele mussten gehen, weil regelmäßige Überprüfungen der körperlichen und mentalen Fitness zu unliebsamen Überraschungen führten. Andere schieden freiwillig aus. Sie fühlten sich einfach dem permanenten Druck nicht gewachsen – meist war es die Psyche, die streikte. Es ist nicht einfach, ständig unter Strom zu stehen, ständig bereit sein zu müssen und nie zu wissen, was der nächste Tag bringt. Nur wer das ausbalancieren kann, hält durch. Und so habe ich in meinen 20 Jahren beim SEK Hunderte kommen und gehen sehen. Allerdings gab es zum Glück auch einige, die wie ich lange blieben und in die Führungsriege aufstiegen.
Keine Frage: Zwar kocht das SEK entgegen seinem geheimnisumwobenen Ruf in vielerlei Hinsicht ebenfalls bloß mit Wasser – vorhersehbar und
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