Bostjans Flug - Roman
kann. Sie wandert an riesigen verschimmelten Rahmen vorüber, aus denen Krankheit, Marter und Tod, Schreckensbilder der Hölle blicken: hier blitzt bei einem das Messer in der Hand auf, und dort wird eine Jungfrau fröhlich gevierteilt, da traktieren Fanatiker einen Ungläubigen auf der Streckbank, und dort bekehren sie ihn mit dem Schwert. Düstere mittelalterliche Bilder geben ihr düstere mittelalterliche Gedanken ein. Ihr Leben setzt sich zusammen aus Kniefällen, Steingängen und überkreuzten Fenstern, alle sieben Schritte eine Tür in eine Einzelzelle. Er ist im Offenen, sie im Geschlossenen. Die junge Nonne Mida vergeht im Kloster, ihr Süßestes
wird vertrocknen, wird nie jemandem Freuden spenden, sie ist verloren, Boštjan mit Lina aber holladri holladro! Wohl ihm! Gejauchzt haben sie nicht, das stimmt, doch sie gingen zu zweit ins Helle, in den Tag, der sich für sie bereit machte. Boštjan die Augen über seine schöne, barhäuptige Begleiterin schweifen lassend und sich an ihre Wärme klammernd, Lina dahintänzelnd auf festem Boden, auch sie gelöst. Von ihrem Lachen prickelte es nur so auf Boštjans Körper. Er taumelte, daß er die Straße bis zum Rand ausfüllte, und ging, als ob er fortan nicht mehr zu gehen brauchte; er ging anders als damals, als er das erste Mal mit ihr zum früheren Wohnhaus gegangen war, als ihm die Plötzlichkeit ihres verborgenen Steigs die Sprache verschlug, ihn unvorbereitet traf und dann das Getöse des Wassers neben ihnen den ganzen Weg lang alle Worte ersetzte. Wenn er sich recht erinnert, war an dem Tag nicht er mit ihr gegangen, sondern sie mit ihm, sie hatte ihn geführt, und nur zufällig waren sie auf demselben Weg, Boštjan wäre ihr auch gefolgt, wenn sie den Weg in die verkehrte Richtung genommen hätte. Es war schon Jahre her, seit sie mit ihrer Mutter vorbeigegangen und beim Trog stehengeblieben war: schon damals waren es nicht die Worte, die ihnen die Zunge lösen sollten, sondern es war das Schälchen Trinkwasser, mit dem sie sich verständigten. Und vor kurzem, nach jenem nächtlichen Gang am Hochzeitstag des Vaters, waren es Boštjans heiße Handflächen, deren beredte Schrift auf der Außenwand ihrer Kammer stehenblieb, noch nachdem sich der Wille Gottes an ihm ausgetobt hatte. Die Wortkargheit war kein Hindernis, sie war von Vorteil, und auch heute flossen die Worte spärlich, langsam, doch sie flossen. Für allzu vieles fehlte freilich der Ausdruck, das Mittel, der Mut. Auch ihre Leute, und sie mit ihnen, hineingeboren in
ein undurchlässiges, verklemmtes Schweigen und in ein lautloses Duckmäusertum, öffneten und äußerten sich in der Arbeit, verwirklichten sich durch die Auferlegung und die Beurteilung von Arbeiten und Verrichtungen, die nur in Schweigsamkeit gut auszuführen waren und nur im Notfall durch ein paar Worte unterstützt wurden. Man traf sich, doch man begrüßte sich nicht, den Gruß ersetzte eine Kleinigkeit, ein paar Brocken über das Wetter, eine Bewegung mit dem Werkzeug, ein Wink mit dem Kopf, eine Anknüpfung an eine alltägliche Besorgung, ein Satzfragment. Arbeit, die Arbeit war die Triebfeder des Umgangs miteinander, war der Gruß und das unverrückbare Maß für die Wahl und Stärke der Worte. Kein Wunder, wenn hierherum alle schweigen, es schweigen Fleisch und Holz, weil sie das wenige bereits gesagt haben, das ihnen die Vorfahren noch übrigließen; weil sie gesagt haben, was nötig war und was nicht, und es durchgemahlen und durchgeknetet haben von allen Seiten. Den Gottgeschlagenen unter ihnen, den despotischen Schutzherren des Volkes, ist das Gehirn ohnehin schon längst eingeschlafen vom ewigen Wiederholen ein und desselben, weil ihnen vom ewigen Wiederholen ein und desselben schon längst das Gehirn eingeschlafen ist. Aus dem Markt gibt es selten Neuigkeiten, nur wenn jemand von einem Wirtshaus heimkommt, wo er sich vollsäuft, oder vom Einkaufen, mit einem Stück Rindfleisch im Rucksack für den Sonntag und mit gelockerten, durchlüfteten Verschlingungen im Kopf, gibt es mitunter auch etwas Neues.
Sie gingen nebeneinander, jeder auf seiner Seite, Boštjan dankbar für die Gelegenheit, daß er bei ihr war, stolz, daß er neben ihr ging, nur ging, ohne sie zu berühren, so ging, daß es nicht klar war, ob er wirklich ging. Es genügte ihm, daß er sein
Fleisch wahrnahm und das Wogen des Blutes darin, seinen Körper mit jedem Faserchen fühlte, den Schlag des Herzens bemerkte, das Pochen im Glied. Bis jetzt hatte er den
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