Bote des Todes
überhaupt nichts gesehen.“
„Damit hast du Recht“, sagte Moira zu ihrer Schwester. „Aber Siobhan hat auch Recht. Ich würde mich dann besser fühlen.“
Als Siobhan ihr später half, Kekse auf einen Teller zu legen, sah ihre Schwägerin sie an und sagte: „Dir macht doch nicht nur die Unterhaltung mit dieser Prostituierten zu schaffen. Es ist Danny, stimmts? Dass er hier ist, zerrt an deinen Nerven.“
„Nein“, log Moira.
Siobhan zuckte mit den Schultern. „Ich glaube nicht, dass du die Wahrheit sagst. Du möchtest gern annehmen, dass er hergekommen ist, um zu bleiben. Du willst dich nicht der Realität stellen. Ich versichere dir, die Wahrheit ist immer besser als ein Zweifel. Ich würde alles geben, um im Moment die Wahrheit zu erfahren.“
„Patrick betet dich an“, sagte Moira und verteidigte ihren Bruder.
„Ich würde das gerne glauben. Ich könnte es glauben, wenn er mehr Zeit mit mir verbringen würde. Wie es aussieht, hat er völlig vergessen, dass er Kinder hat. Er redet mit Michael ständig davon, mit dem Boot hinauszufahren und diesen McGahey mitzunehmen, damit sie sich über Irland unterhalten können. Weißt du was? Er hat nicht ein einziges Mal davon gesprochen, mich oder die Kinder auf der ersten Bootsfahrt in diesem Jahr mitzunehmen.“ Frustriert verließ Siobhan den Raum.
Schließlich war der Zeitpunkt gekommen, um sich auf den Weg zu Flannery’s zu machen. Molly und Shannon hatten ihre Schokolade dabei, die sie in den Sarg legen wollten. Siobhan hatte lange überlegt, ob es richtig war, Molly den toten Seamus in seinem Sarg sehen zu lassen, doch der Bestatter hatte so hervorragende Arbeit geleistet, dass sich ihre Bedenken rasch verflüchtigten.
„Ich versteh das nicht, Auntie Mo“, sagte Molly zu ihr, als sie neben dem Sarg standen. „Mommy sagt, dass er schläft. Aber warum will er in einer Kiste schlafen?“
„Na ja, Molly, Seamus selbst ist eigentlich schon bei Gott im Himmel. Aber sein Körper liegt noch in … in der Kiste. Wir werden ihn beerdigen, und immer, wenn wir für ihn beten wollen oder wenn wir ganz viel an ihn denken, dann können wir auf den Friedhof gehen und sein Grab besuchen, um ihm Blumen zu bringen.“
„Oder ein Bier“, meinte Danny trocken, der hinter ihnen stand.
„Wenn du ihm etwas bringst“, fuhr Moira fort, „dann fühlst du dich ihm ganze nahe. Aber Seamus selbst, seine Seele, also der richtige Seamus, der ist bei Gott.“ Sie hob ihre Nichte hoch. „Na komm, Molly. Ich halte dich fest, dann kannst du die Schokolade hineinlegen.“
Wenig später wurde es Zeit, die Türen für alle Trauergäste zu öffnen. Eamon und Katy Kelly knieten noch immer am Sarg. Dann standen sie beide auf und setzten sich in die erste Reihe. Die Totenwache hatte begonnen.
Patrick war in den Pub zurückgekehrt, um den Trauergästen, die nicht wussten, wohin sie gehen mussten, den Weg zu Flannery’s zu erklären.
Michael, Josh und Gina trafen ein. Sie flüsterte Moira zu, dass sie einen Babysitter hatten finden können, damit sie die Zwillinge im Hotel lassen konnten. Josh versprach Moira, er und Gina würden sie zum Pub begleiten, sobald es für sie Zeit zum Gehen war. Aber sie erwiderte, Michael wolle mit ihr zurückgehen. „Es wäre mir lieber, wenn ihr hier bleiben könntet, um Colleen nach Hause zu begleiten.“
Dann wurde es turbulent. Seamus hatte zwar nie geheiratet, aber über die Jahre hinweg hatte er es auf eine stattliche Anzahl Freundinnen gebracht, von denen ihm viele die letzte Ehre erweisen wollten. Schließlich wurde es so voll, dass Moira in den Vorraum auswich. Dort hörte sie eine Weile dem Wehklagen alter Freunde von Seamus zu, dann kehrte sie zurück und setzte sich zu ihren Eltern. Immer mehr Trauergäste kamen. Freunde aus dem Pub. Ehemalige Arbeitskollegen. Sie alle gaben Moira die Hand und versicherten, dass Seamus ein wunderbarer Mensch gewesen war. Schließlich stand Moira wieder auf, da sie etwas Abstand brauchte. Auf dem Weg nach draußen kam ihr überraschend Tom Gambetti entgegen.
„Ich wollte Ihnen nur mein Beileid ausdrücken und Ihrem Freund die letzte Ehre erweisen“, sagte er, als sei es ihm peinlich, hier zu sein.
„Das ist sehr nett von Ihnen. Gehen Sie doch durch …“
„Ich hoffe, ich bin nicht zu aufdringlich …?“
„Nein, nein, ganz und gar nicht. Wir sehen uns später im Pub. Sie sind herzlich eingeladen.“
Er nickte dankend.
Moira ging bis in den breiten Gang mit den hohen Fenstern, der an der
Weitere Kostenlose Bücher