Bote ins Jenseits
Unterhaltungswert und geringer Bedeutung, als wäre das gerade Erlebte nie passiert. Herrlich einfach, wohltuend unverfänglich und einen Aufschub gewährend, für die Auseinandersetzung mit den jüngsten Ereignissen. Außerdem war zumindest zweien der Anwesenden schmerzhaft bewusst, dass ein Abschied für relativ lange Zeit kurz bevorstand. Es konnte sicher nicht schaden, dies noch für ein paar Stunden hinauszuzögern.
Das Unausweichliche zu verhindern war jedoch unmöglich, und als der Vorrat an Belanglosigkeiten aufgebraucht war, hieß es Farbe bekennen. Gregor machte schweren Herzens den Anfang.
»Es wird langsam Zeit, Thore. Dein Fall ist geklärt… Wir müssen zurück!«, sagte er zu Kamp.
»Ich habe befürchtet, dass du das irgendwann sagen würdest«, seufzte Kamp und sah traurig zu seiner Schwester.
»Ich hab mich nicht mal mehr richtig mit ihr unterhalten können. Ohne Dolmetscher meine ich.«
Der Bote nickte. »Mir ist schon klar, was du meinst. Aber ich hätte da eine Idee…«
Nachdem Kamp den drei Boten Lebewohl gesagt hatte – aus irgendeinem Grund bestanden sie auf »bis bald« –, ging er zusammen mit Gregor und seiner Schwester zum Fahrstuhl.
»Mit diesem Fahrstuhl gelangt man also tatsächlich direkt ins Jenseits?«, fragte sie fasziniert.
»Ja, so ist es. Man muss allerdings luzide sein, um ihn benutzen zu können«, antwortete der Bote.
»Verrückt!«
Sie sah nach unten zu ihrem Bruder, der direkt neben ihren Füßen stand und schwanzwedelnd ihren Blick erwiderte.
»Und, äh… was kommt jetzt?«, stammelte sie. Große Unsicherheit und Angst ließen ihre Stimme vibrieren.
Gregor öffnete den Fahrstuhl.
»Entschuldige uns für einen Moment«, sagte er zu der jungen Frau.
Er betrat ihn und bedeutete Kamp, ihm zu folgen. Nicht mal eine Minute später kam er allein wieder heraus, ging zu Heike und hielt ihr die Hand hin.
»Es war mir ein außerordentliches Vergnügen, dich kennengelernt zu haben, Heike Kamp.«
Sie ignorierte seine Hand und fiel ihm in die Arme.
»Ich werde dich nie vergessen. Danke für alles!«
Sie schniefte und ließ den überrumpelten Gregor wieder los.
»Ich hoffe nur, ich habe dir nicht allzu große Schwierigkeiten eingebrockt. Wird man dich bestrafen?«, fragte sie aufrichtig besorgt.
»Na ja, man wird es nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Dafür ist zu viel passiert. Aber ich werde es überleben«, sagte er, lachte verlegen und wartete vergeblich auf eine Reaktion von ihr.
»Verstehen Sie? Ich werde überleben. Ich, ein Bote des… na ist auch egal.«
Sie hatte den Witz nicht verstanden und lächelte verwirrt, aber höflich:
»Was aber dein Eingreifen vorhin in Tibbes Wohnung betrifft, wenn du je wieder mit einem Vergeltungsboten des Jenseits unterwegs bist und zu einem Einsatz mitgenommen wirst, tu nichts, worum man dich nicht ausdrücklich gebeten hat!«
Sie lief rot an und wollte etwas erwidern, aber er kam ihr zuvor.
»Nein, schon in Ordnung. Was geschehen ist, können wir nicht mehr ändern. Ich musste das nur loswerden. Nichts für ungut.«
Sie sah verlegen zu Boden. »Dann heißt es jetzt Abschied nehmen? Wir werden uns wohl so schnell nicht wieder sehen?«
»Was sind schon ein paar Jahre?«, sagte er lächelnd, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und zeigte zum Fahrstuhl.
»Da drinnen wartet jemand auf dich. Leb wohl.«
Ihre tränenfeuchten Augen wurden groß. Mit einem stummen Ausdruck größten Erstaunens warf sie einen dankbaren Blick zum Vergeltungsboten und stürzte sich förmlich in den Fahrstuhl.
»Seid ihr alles losgeworden, was euch noch auf dem Herzen lag?«
»Ja, sind wir. Schade nur, dass wir uns nicht noch mal in den Arm nehmen konnten. Sie hat es gleich versucht und ins Leere gegriffen. Trotzdem danke ich dir, dass du uns das ermöglicht hast!«
»Dafür brauchst du mir nicht zu danken, hab ich gern getan«, erwiderte Gregor jovial.
»Geh ich recht in der Annahme, dass es sich dabei um einen weiteren eklatanten Verstoß gegen die Vorschriften gehandelt hat?«, fragte Kamp vorsichtig.
Gregor überlegte kurz. »Ich sage es mal so: Die Vorschriften sehen vor, dass kein Sterblicher jemals eine unserer Niederlassungen betreten darf. Von daher hat man wohl keine Notwendigkeit gesehen, noch ein paar extra Verbote für den Fall zu verfassen, dass es jemanden geben könnte, der es, so wie ich, wagen sollte, sich nicht daran zu halten. Ich glaube, wir befinden uns da in einer Art rechtsfreiem Raum«, parlierte
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