Bote ins Jenseits
der Bote gelassen.
Kamp nickte und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Fahrstuhlwand. Seit ein paar Minuten waren sie, nachdem Gregor sich ebenfalls von den Boten der Niederlassung verabschiedet hatte, wieder unterwegs in Richtung Jenseits.
Erst jetzt realisierte Gregor in vollem Umfang, wie sehr Kamp die Ungewissheit über seine Todesumstände beschäftigt und zugesetzt hatte. So entspannt, glücklich und ausgeglichen hatte er ihn in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft noch nicht erlebt. Selbst als Hund merkte man ihm seinen inneren Aufruhr an.
Gregor zog seine eigene Bilanz und kam einmal mehr zu dem Ergebnis, dass sich jeder einzelne Regelverstoß, vor dem Hintergrund dieses Erfolges, gelohnt hatte. Es warteten sicherlich ein paar ernste Einzelgespräche auf ihn, aber er konnte ihnen mit einem reinen Gewissen begegnen. Die Freude und Zufriedenheit darüber, einer Seele, die ihm etwas bedeutete, geholfen zu haben, überwog alle möglichen negativen Konsequenzen. Manchmal musste man eben ein paar Grenzen überschreiten.
»Sag mal, wie hast du ihn eigentlich dazu gebracht, so auszurasten? Sein Gesichtsausdruck hat mich stark an das Paar im Restaurant und den Typen im Bus erinnert«, fragte Kamp.
»Das stimmt! Ich habe eine kleine Privatvorstellung gegeben. Weißt du, als Bote lernt man unter anderem, sich auf die individuelle Wahrnehmung eines Menschen einzustellen und sie zu manipulieren. Bei dem Besoffenen im Bus und diesem arroganten Ehepaar im Restaurant habe ich das ganz ähnlich gemacht, nur nicht so intensiv wie bei ihm.«
Kamp starrte den Boten neugierig an. »Was genau hat er denn nun zu sehen bekommen?«
Der Bote zögerte und blickte auf den Boden.
»Etwas, womit sein Verstand nicht fertig geworden ist. Ich glaube, ich habe die Dosis für deinen Freund etwas zu hoch angesetzt«, antwortete er nachdenklich.
»Ex-Freund bitte! Ich kann ihn beim besten Willen nicht mehr als meinen Freund bezeichnen. Selbst in den Erinnerungen an die guten Zeiten mit ihm kann ich das nicht mehr. Ich weiß ja nicht, was davon ernst und was vorgegaukelt war.«
In seine Gedanken versunken schüttelte Kamp den Kopf. »Dass ich nie etwas bemerkt habe! Bin ich vielleicht zu naiv?«
»Naiv würde ich es nicht nennen. Unbedarft passt besser. Aber mit jeder Gelegenheit, bei der man auf die Schnauze fällt, wird es besser, glaube mir.«
Ein paar Minuten standen sich Kamp und Gregor schweigend gegenüber und versuchten, Ordnung in all die Eindrücke und Erfahrungen zu bringen, die ihre Gedanken belagerten. Wenn sich ihre flüchtigen Blicke zufällig trafen, lächelten sie einander freundschaftlich verlegen an.
»Wie seid ihr eigentlich verblieben?«, fragte der Bote.
»Heike und ich? Na ja, ich hab ihr erzählt, dass einem Wiedersehen zwischen uns nichts im Wege steht… nach ihrem Tod.«
Kamp lachte kurz auf. »Sie hat mich gefragt, ob sie bei uns Schwierigkeiten bekommen wird, weil sie mit ihrem Glauben bisher auf Kriegsfuß stand, und ob es was bringen würde, wenn sie jetzt noch damit anfängt. Sie meinte, es würde ihr nun viel leichter fallen, weil sie weiß, dass es dort wirklich etwas gibt.«
Gregor musste ebenfalls lachen. »Und? Was hast du ihr geantwortet?«
»Dass es vollkommen ausreicht, wenn sie bleibt, was sie ist. Ein guter Mensch, der niemandem den Schädel einschlägt.«
»Gut gemacht!«, sagte der Bote und nickte.
Sie schwiegen wieder für eine Weile. Gregor suchte schon seit ihrem Aufbruch nach den richtigen Worten für eine Frage, die er Kamp unbedingt stellen musste. Es gestaltete sich in diesem Fall schwieriger, als er gedacht hätte. Alle gedanklichen Entwürfe schienen ungeeignet, aus Gründen, die wohl nur er nachvollziehen konnte. Da es aber nicht mehr lange dauern würde, bis sie im Jenseits eintrafen, wurde die Zeit langsam knapp, und er wollte es auf jeden Fall loswerden, bevor sich ihre Wege wieder trennen würden.
Manchmal war es einfacher einen Mörder zu überführen, als einem Freund eine simple Frage zu stellen.
»Was ich dich noch fragen wollte, weißt du schon… ähm… hast du schon Pläne für die Zeit danach? Also quasi für jetzt?«
Kamp machte ein ernstes Gesicht und nickte. »Ja, hab ich. Ich werde mich an der Botenakademie einschreiben lassen, oder wie auch immer man das im Jenseits nennt. Es sieht ja wohl so aus, dass genau das von mir erwartet wird, und die Vorstellung gefällt mir! Jedenfalls werde ich meine Zeit nicht untätig in einer der Städte
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