Bottini, Oliver - Louise Boni 01
zurück, wenn wir uns wieder sehen», sagte der Fahrer.
Sie setzte die Diskotheken-Brille auf. «Wie heißen Sie?»
«Anatol Ebing.»
«Wir sehen uns nicht wieder, Anatol.»
«Sie sitzen zum vierten oder fünften Mal innerhalb von einem Jahr bei mir im Taxi, da sind die Chancen nicht so schlecht, oder?» Anatol lächelte flüchtig.
Sie starrte ihn erschrocken an. Er kam ihr nicht einmal vage bekannt vor.
Dafür begann sich in ihrem Gedächtnis ein anderes Männergesicht zu formen. Es war rund, gemütlich, nachgiebig. Ein Körper kam dazu, der ebenso rund, gemütlich und nachgiebig war. Weiße, dicke Finger, die alle zwei Minuten die rutschende Hose hochzo-gen. In ihrer Erinnerung verlor das Gesicht plötzlich die Gemütlichkeit und färbte sich dunkelrot. Der Mann, zu dem es gehörte, stand schnaubend in einer kleinen Wohnküche vor einem Vater, der Tochter und Exfrau als Geiseln genommen hatte und mit einem Küchenmesser bedrohte. Wie, Sie könnten jemand umbringen, den Sie lieben?, sagte der Mann mit dem roten Gesicht erbost zu dem Vater. Der Vater starrte ihn verwirrt an, dann senkte er das Küchenmesser rasch. Na, das möcht ich auch hoffen, knurrte der Mann.
Hollerer.
Hollerer war nicht in Liebau. Er folgte dem Mönch, der weitergezogen war, im Streifenwagen. Über Funk gab er seine Positionen an den Polizeiposten Liebau durch.
Ein eifriger junger Beamter mit dem merkwürdigen Namen Niksch brachte Louise auf unsichtbaren Stra-
ßen tiefer ins Nichts hinein. Sie hatte den Eindruck, über ein unendliches Feld aus Schnee zu gleiten. Häuser, Bäume, Zäune gab es hier nicht. Nur Strommas-ten und Raben.
Nicht einmal René Calambert verirrte sich hierher.
Niksch hatte Schnupfen und zierliche Hände und fuhr absichtlich zu schnell. Fast in jeder Kurve brach das Heck des Streifenwagens aus. Strahlend fing er den Wagen ab.
«Großartige Reflexe», sagte sie und überlegte, ob er ihr imponieren wollte, weil sie eine Frau war oder weil sie beinahe seine Mutter hätte sein können.
«Ich fahr Rallyes», sagte Niksch.
«Nicht jetzt, bitte», sagte Louise.
Zehn Minuten später tauchte in der weißen Einöde links von ihnen ein Streifenwagen auf. Er stand am Fuß eines kahlen Hügels. Auf halber Höhe, in einer geraden Linie oberhalb des Wagens, bemerkte Louise einen schwarzen Punkt. Sie brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass sich der Punkt langsam nach oben bewegte.
Niksch betätigte das Funkgerät und rief: «Chef, wir sehen ihn, er ist direkt über Ihnen!»
«Was du nicht sagst.» Hollerers Stimme klang un-deutlich, als spräche er mit vollem Mund. «Hast du den Foto dabei, Niksch?»
«Natürlich», rief Niksch strahlend und riss das Steuer nach links.
Hollerer war ausgestiegen. Während sie auf ihn zuging, nickte er, als hätte er sie gleich erkannt. Sie gaben sich die Hand. «Setzen wir uns einen Moment ins Warme», sagte er ein bisschen grimmig und hielt ihr den Schlag auf. Als sie saßen, fragte er: «Sie sind allein gekommen?»
«Ja.»
Schweigend beobachteten sie den Mönch durch die Windschutzscheibe. Es hatte aufgehört zu schneien, der Himmel war lichter geworden. Sie war froh über die Sonnenbrille. Hollerer hatte Mühe, die Augen wenigstens einen Spalt weit offen zu halten. Der Mönch hatte etwa drei Fünftel des Hügels hinter sich gebracht und ging jetzt nicht mehr senkrecht, sondern schräg nach oben. Er war gut einhundert Meter von ihnen entfernt.
«Wo der bloß hinwill?», brummte Hollerer. Seine Stimme klang, als hätte er seit Stunden über diese Frage nachgedacht.
«Was ist hinter dem Hügel?»
«Nichts», sagte Hollerer. Er stellte den Motor ab.
Das Gebläse arbeitete weiter.
Niksch war dem Mönch etwa zehn Meter weit nachgestiegen. Jetzt hob er einen Fotoapparat an die Augen. Dann drehte er sich um und zog fragend die Schultern in die Höhe. Hollerer bedeutete ihm mit der Hand, weiterzumachen. Er zeigte nach links, nach rechts, zuckte die Achseln. Niksch zuckte ebenfalls die Achseln.
«Der Niksch hat viele Talente», sagte Hollerer,
«zum Beispiel ist er ein guter Autofahrer. Leider ist er ein beschissener Polizist. Er arbeitet, wie er Auto fährt: konzentriert, aber viel zu schnell. Außerdem ist er süchtig nach Kurven und hat keine Lust, grad aus zu arbeiten. Am liebsten arbeitet er querfeldein, wenn Sie verstehen, was ich meine.»
«Nicht ganz.»
«Seine Ergebnisse sind, na ja, kreativ, aber un-brauchbar.»
Louise lächelte.
Sie hatten sich im Sommer vor René
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